Kein Leben ist perfekt, selbst wenn es sich so anfühlen mag. Und wer sich selbst betrügt in der Sicherheit, es laufe alles nach Plan, erwacht umso böser, wenn alles scheitert. So geschehen in jener Bar in Wien, wo ein Freund von Mini und Miki sich derart aufspielt, dass seine Angeberei plötzlich in sich zerfällt – und er selbst gleich mit. «Stück für Stück sammeln Mini und Miki ihren Freund auf und setzen ihn, so gut sie können, zusammen, damit er im Taxi seine Adresse sagen kann.»
Im Kampf mit der eigenen Monstrosität
Willkommen in der Welt von Mini und Miki, deren Alltag gespickt ist von solchen Situationen. Sie kommt aus Belgrad, er aus der Steiermark. Beide leben in Wien, wo sie sich fremd fühlen und hinter jeder Ecke das Unvorstellbare lauert. Erzählt wird dies von Barbi Markovic in ihrem neuen, gerade mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Band «Minihorror».
Miki spürt die Tücken der Grossstadt, wenn er sich im Einkaufszentrum verliert, um dann seine multiple Existenz zu entdecken. Wenn er plötzlich nur noch Obst essen will oder sich nicht mehr sicher ist, ob er noch lebt. Mini kämpft mit dem bedrohlichen Kitzelmonster, ihrer monströsen Grossmutter und schliesslich auch mit der eigenen Monstrosität. Beim Ikea-Einkauf wird das Paar von kafkaesker Ziellosigkeit gepackt, an Partys kämpft es mit dem Zombie-Talk.
Bildhafte Sprache, philosophische Fallen
«Wäh», schreibt dann Barbi Markovic, deren Paar in einer Comicwelt zu leben scheint. «Mini und Miki sind zwei Charaktere, die vielleicht Minnie Maus und Micky Maus sind, vielleicht aber auch nicht, das wird nie erklärt», witzelte Markovic dazu in einem SWR-Interview.
Auch der Aufbau ihrer Geschichten ist comichaft: Stets ausgehend von Alltagssituationen, gliedert sich das Geschehen in «wenig später» oder «zur selben Zeit», «am folgenden Tag» oder «30 Jahre später». Markovics Sprache ist entsprechend simpel und bildhaft, stellt aber philosophische Fallen: «Das Wasser ist dabei, einen Stein abzurunden, und Jahrzehnte werden vergehen, bis ein Unterschied sichtbar wird. Schön. Ein schöner Anblick. Da merkt Mini, dass es ein Problem gibt.
Das Hier und Jetzt hat sich über alles gelegt. Nichts Wesentliches kann sich mehr ändern.» Barbi Markovic ist 1980 in Belgrad geboren und für ihr Germanistikstudium 2006 nach Wien gezogen. Seit 2009 publiziert sie Kurzgeschichten, Romane und Theaterstücke, mit denen sie das Leben der urbanen Jugend beschreibt, die zwar alles hat und kann und doch stets in neue Fallen tappt, wie SocialMedia-Sucht, Verschwörungstheorien oder Pandemie.
Gescheiter Comic mit «Bonusmaterial»
Schon in früheren Romanen wie «Superheldinnen» oder «Die verschissene Zeit» hat Markovic surreale und fantastische Elemente eingeflochten: Zeitmaschinen oder Superkräfte. Im Leben von Mini und Miki wird Gedachtes plötzlich real, Ängste nehmen konkrete Gestalt an, Bedrohliches nimmt absurde Wendungen.
«Minihorror» ist weder Roman noch Erzählband, sondern ein schreiend witziger und dabei hoch gescheiter Comic ohne Bilder, erzählt auf neuartige Weise, der am Schluss mit «Bonusmaterial» aufwartet: einem Rollenspiel, einer Gastgeschichte sowie 105 Ideen zu weiteren Geschichten. Viel Spass!
Radio
Zwei mit Buch über Barbi Markovics
Minihorror Mo, 22.4., 18.30, SRF 2 Kultur
Buch
Barbi Markovic
Minihorror 192 Seiten (Residenz 2023)