kulturtipp: Sie veröffentlichten in den letzten Jahren bereits mehrere Minialben und waren oft live unterwegs. Wann fanden Sie überhaupt die Zeit, Ihr Debütalbum aufzunehmen?
Priya Ragu: Das Album entstand während der Tour. Wir gingen immer wieder ins Studio nach London. Dort arbeiteten wir seit 2021 kontinuierlich an neuen Songs.
In London nahm Ihre Karriere Fahrt auf. Hätte das von der Schweiz aus nicht funktioniert?
Doch, es hat von hier aus geklappt! Während der Pandemie war ich in der Schweiz, veröffentlichte eine Handvoll Songs. Mit dem vierten, «Good Love 2.0», wurden dann verschiedene Labels auf mich aufmerksam. Dank Social Media und Co. kann man heute von überall aus Erfolg haben.
Sie leben immer noch in der Schweiz?
Ja, ich wohne in Zürich, reise aber oft nach London. Das ist cool so, denn in der Schweiz kann ich meine Batterien wieder aufladen, mich entspannen, und für die Arbeit bin ich in London. Aber wir machen natürlich auch in der Schweiz Musik.
Wenn Sie von «wir» sprechen, meinen Sie sich und Ihren Bruder?
Genau, mein Bruder Roshaan alias Japhna Gold und ich.
Das ist bestimmt nicht einfach, mit dem vier Jahre älteren Bruder Musik zu machen.
Das dachte ich anfangs auch. Aber ich gab dem Ganzen eine Chance und habe schliesslich realisiert, dass diese Art der Zusammenarbeit am einfachsten ist.
Sind auf dem Album noch andere Produzenten am Start?
Bei «Vacation» ist Toddla T dabei. Wir wollten eine neue Meinung und frische Vibes reinbringen. Aber hauptsächlich haben wir zu zweit produziert.
Der erste Albumtrack «School Me Like That» spielt auf Ihre strenge Erziehung an. Ihre Eltern scheinen Ihnen immer noch sehr wichtig?
Ja, und ich hoffe, das ist bei allen so. (lacht) «School Me Like That» ist aber vor allem ein sozialkritischer Song. Es geht darum, dass man im Leben viele Erwartungen erfüllen muss – sei es von Eltern, Lehrern oder dem Arbeitgeber –, man sich aber die Zeit nehmen sollte, um zu verstehen, was man selbst möchte.
Im kämpferischen Song «Black Goose» rappen Sie: «Officer don’t shoot, I got so much shit to do.» Ein sehr politischer Track.
Genau, der Song entstand 2020, als George Floyd in den USA von Polizisten getötet wurde. Wir als Tamilen, die vor Bürgerkrieg und Völkermord geflüchtet sind, können nachvollziehen, was es bedeutet, unterdrückt zu werden.
«Cornerstone» klingt nach 90s-R&B. Prägte diese Musik Ihre Kindheit?
Das ist einer meiner Lieblingstracks auf dem Album. Brandy war mein grosses Idol, Lauryn Hill mochte ich ebenfalls. Und auch dem 90er-Hip-Hop-Subgenre Boom bap fühlte ich mich stets sehr verbunden.
Gab es auch Schweizer Künstlerinnen und Künstler, die Sie beeinflussten?
Ob sie mich musikalisch beeinflussten, weiss ich nicht, aber ich hörte mir gerne Sektion Kuchikäschtli an und mochte generell die Produktionen des St. Galler Produzenten Claud. Heute mag ich zudem Schweizer Künstler wie Müslüm, der nicht nur lustig, sondern auch sehr musikalisch ist. Ausserdem gefallen mir die Rapper Nativ und Makala sowie der Mundartmusiker Andryy. Auch Laskaar und Dawill finde ich super. Und Daniela Sarda ist für mich eine der besten Sängerinnen der Schweiz.
Auf «Santhosam», dem tamilischen Wort für «Glück», sind viele Musikelemente aus Sri Lanka zu hören. Woher kommen diese Ideen?
Mein Bruder und ich sind mit tamilischer Filmmusik aus sogenannten Kollywood-Produktionen aufgewachsen. Mit unserem Vater zusammen hatten wir eine Band. Dafür lernten wir die Songs aus diesen Filmen auswendig – und zwar ohne Noten. Das hat uns musikalisch sehr geprägt.
Ist Ihr Vater am Album beteiligt?
Er hat die Lyrics zu «Mani Osai» geschrieben. Von mir stammt die Melodie dazu, und Japhna hat den Track produziert. Wir machen einmal pro Jahr alle zusammen einen Song, das ist eine Art Familientradition.
Worum geht es in dem Stück?
Es geht darum, sein Zuhause wiederzufinden. Wenn man viel um die Welt reist, merkt man, dass man die Heimat auch immer in sich selbst finden kann.
Sie sind zwischen zwei Kulturen aufgewachsen. Fühlen Sie sich heute «angekommen»?
Als Teenager fand ich die tamilische Kultur nicht cool, wollte «schweizerischer» sein und lieber auch Rüebli und Zwieback in der Pause essen. (lacht) Das hat sich mittlerweile geändert. Heute finde ich beide Seiten super.
Was sagen Ihre Eltern zum fertigen Album?
Sie meinen, es sei ein «No-Skipper-Album», es gebe also keine Songs, die man überspringen möchte. Aber hey, sie sind meine Eltern, natürlich sagen sie das!
Album
Priya Ragu
Santhosam
(Warner 2023)
Erhältlich ab
Fr, 20.10.
Soul, R&B, Pop und tamilische Folklore
Priya Ragupathylingam, geboren und aufgewachsen im Kanton St. Gallen, begann ihre Karriere als Backgroundsängerin unter anderem für die Bündner Hip-HopBand Sektion Kuchikäschtli. In den letzten Jahren veröffentlichte die 37-Jährige verschiedene Mixtapes und Singles, die BBC kürte sie zu einer der verheissungsvollsten Nachwuchskünstlerinnen. Bei den Swiss Music Awards war sie als Best Talent nominiert.
Anfang Dezember tritt Priya Ragu bei einem grossen Festival in Indien auf, für Frühjahr 2024 ist eine Europatournee geplant. Das Album «Santhosam», auf dem die Musikerin Soul, R&B, UK-Garage und tamilische Folklore mit eingängigen Pop-Hooks kombiniert, erscheint am 20. Oktober bei Warner.
Konzert
Sa, 13.4., Plaza Zürich