Diese junge Frau mit ihren schönen Augen ist verliebt. Sie heisst Victoria und ist bereits mit 18 Jahren Königin von England geworden. Jetzt ist sie verlobt und zwar mit dem gleichaltrigen Deutschen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha. Die eigenwillige Victoria (1819–1901) liess sich nicht etwa zu einer «Marriage of convenience», zu einer Zweckheirat, drängen. Sie liebte ihre Bräutigam vielmehr von Herzen. So schrieb sie in ihr Tagebuch die berühmten Worte: «Er ist ausgesprochen hübsch, sein Haar hat etwa die gleiche Farbe wie meine, seine Augen sind gross und blau, er hat eine wunderschöne Nase und einen so süssen Mund …» Das von einem anonymen Maler gefertigte Bild zeigt die Victoria als Braut im Jahr 1840, als sie ihren Albert heiraten durfte und mit ihm neun Kinder zur Welt brachte.
Junge Persönlichkeit
Dieses Medaillon präsentiert die junge Herrscherin von ihrer besten Seite. Sie erscheint dem Betrachter begehrenswert und ist doch distanziert. Der Blick richtet sich diskret etwas zur Seite, sodass sie keinesfalls aufdringlich wirkt. Die junge Königin hatte in ihrem dritten Amtsjahr noch nicht das Charisma, das ihr im hohen Alter zukam, aber man erkennt bereits ihre Persönlichkeit.
Maler der Tudors
«The English Face, Porträtminiaturen von den Tudors bis zur Queen Victoria» heisst eine neue Ausstellung, die nun im Winterthurer Museum Oskar Reinhart zu sehen ist. Knapp 30 Medaillons mit Porträts von Zeitgenossen aus vier Jahrhunderten sind zu sehen – vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. England wurde in jenen Jahren zu einer Weltmacht, und diese Porträts waren zumindest in der frühen Zeit ein Propagandainstrument, wie Museumsdirektor Marc Fehlmann im Ausstellungstext schreibt. So bekundete Königin Elisabeth I. auserwählten Untertanen ihre Gunst, indem sie Miniaturen von sich als Zeichen der Anerkennung vergab. Der Beschenkte wusste damit, wer seine Herrscherin war, er hatte aber auch die Gewissheit, dass sie ihm wohlgesonnen war.
Einer der wichtigsten Miniaturen-Maler der Tudors war Nicholas Hilliard (1547–1619), der das Porträt eines heute unbekannten Adligen (grosses Bild rechts) malte. Die lateinische Inschrift besagt, dass der Porträtierte im Jahr 1594 exakt 32 Jahre
alt war.
Der Mann ist herausgeputzt, hat sauber gekämmtes Haar, ein schnittiges Bärtchen mit einem streng gezwirbelten Schnauzer. Die vergoldete Kleidung des Aristokraten zeugt von Wohlstand, sein harter Blick sagt dem Betrachter, dass er Widerspruch nicht wirklich mochte. Wer den Kerl länger betrachtet, zweifelt, ob die Bekanntschaft mit ihm erstrebenswert gewesen wäre. Die Biografie des Künstlers Nicholas Hilliard liest sich heute wie ein Sittengemälde des elisabethanischen Englands. Er entstammte einer fundamentalistisch-protestantischen Familie, verbrachte als Kind einige Zeit bei den Calvinisten in Genf und absolvierte eine Ausbildung als Goldschmied in London.
Hilliards Durchbruch
Den Durchbruch schaffte Hilliard mit einer Porträtserie von Robert Dudley, Earl of Leicester. Ein Glücksfall für den Künstler, denn der Adlige stand der Königin sehr nahe, so nahe, dass sie eines seiner Porträts mit der Etikette «My Lord’s picture» privat verwahrt hatte, wie das Liebende heute mit den Fotos von ihren Angebeteten tun.
Die Nähe zum Hof brachte viel Geld, aber im Fall von Hilliard reichte das nirgends hin. Er handelte sich immer wieder Schulden ein, musste einmal sogar ein paar Tage im Londoner Schuldnergefängnis schmachten, eine Erfahrung, die man damals niemandem gönnen mochte. Heute sind Hilliards finanziellen Kapriolen vergessen. Geblieben sind seine Miniaturen. Eine davon ist nun in Winterthur zu sehen. Sie stammt wie die meisten anderen aus der Sammlung des Zürcher Arztes Emil S. Kern, der 2014 mit 100 Jahren verstorben ist und seine Sammlung dem Museum geschenkt hat.
Gang durch Geschichte
Die Winterthurer Miniaturen erlauben dem Besucher einen Gang durch die Geschichte der englischen Neuzeit. Das Bildnis des Künstlers Richard Cosway etwa zeigt einen idealisierten Philip Yorke, dritter Earl of Hardwicke (1757–1834). Der Politiker war damals immerhin 33 Jahre alt, sieht aber wie ein Konfirmand aus. Der Graf stammte aus einer politisch liberalen Familie und hatte den Mut, sich für die Besserstellung der Katholiken zu engagieren, vor allem in Irland, wo er zu Beginn des 19. Jahrhunderts Vizekönig war. Yorke setzte sich für die Abschaffung der Sklaverei ein, und er erkannte frühzeitig, dass der Krieg gegen die abtrünnigen Kolonien in Amerika für das Empire verloren war.
Die Miniatur zeigt einen sympathischen jungen Mann mit wachem Blick, den man gerne zum Dinner eingeladen hätte. Da ist keine Spur von Arroganz zu sehen, das angedeutete Lächeln zeugt vielmehr von Wohlwollen und Nachsicht. Ganz anders als beim unbekannten Adligen, der 300 Jahre früher wahrscheinlich in ähnlich gehobenen Kreisen verkehrte wie der junge Yorke.
The English Face
So, 18.1.–So, 5.7. Museum Oskar Reinhart Winterthur