Ein Premierenabend an der Mailänder Scala: Die Zuschauer sind festlich herausgeputzt, plaudern und fachsimpeln im Foyer mit einem Glas Sekt in der Hand. Doch dann macht ein Gerücht die Runde: Ein Umsturz stehe bevor. Wer genau die Aufständischen sind, weiss niemand. Aber die diffuse Meldung genügt, um die gelöste Stimmung in angespannte Nervosität umkippen zu lassen. Einige Zuschauer und Musiker verschanzen sich auf der Bühne und harren der Dinge, die da kommen mögen.
Die Geschichte wird über Musik erzählt
Von dieser bedrohlichen Atmosphäre, die der italienische Autor Dino Buzzati in seiner Erzählung «Panik in der Scala» (1949) heraufbeschwört, ist an den Proben in der Postremise Chur nichts zu spüren. Regisseur Manfred Ferrari und sein siebenköpfiges Ensemble haben das Stück zwar ebenfalls auf der Opernbühne angesiedelt: Ein Vorhang aus glitzernden Silberfäden, Blumen auf dem Piano und verschiedene Instrumente sorgen für das entsprechende Ambiente. Buzzatis Erzählung aber wurde radikal gekürzt. «Musik und Gesang von Klassik bis Jazz nehmen viel Raum ein, die Sprache fällt weitgehend weg», erläutert Ferrari. Ursprünglich habe er eine andere Idee im Kopf gehabt, aber er lasse sich bei den Proben stark von den Schauspielern und Musikern leiten: «Und plötzlich entwickelt es sich in eine ganz andere Richtung. Wir erzählen die Geschichte nun über die Musik und die Liedertexte, so wie es auch die Oper macht.»
Ferrari setzt in seiner Inszenierung eher auf Leichtigkeit. «Die Grundsituation bleibt dieselbe», sagt er. «Aber mich interessiert weniger die politische Komponente dieser Erzählung, sondern das Zwischenmenschliche.» Wie reagieren die einzelnen Figuren auf eine solche Ausnahmesituation? Wie gehen sie miteinander um, wenn der Verlust der gesellschaftlichen Stellung droht?
Die Zuschauer wittern ihre Chance
In der theatralen Umsetzung in der Postremise Chur reagieren die Menschen eher mit Ausgelassenheit als mit Aggressivität auf die Umsturzgerüchte. Vor allem die Scala-Zuschauer wittern ihre Chance. Schliesslich steht man nur einmal im Leben auf der berühmten Bühne. Zum Beispiel das Ehepaar Beppo und Clara Passalaqua, zwei verkannte Opernsänger: Die beiden singen ein ergreifendes Duett, wunderbar interpretiert von der Sopranistin Lena Kiepenheuer und Bariton Chasper-Curò Mani.
Im Lauf des Abends kommen aber auch eheliche Differenzen zum Ausdruck. Der junge Lajanni, dargestellt von Tänzer Ivo Bärtsch, macht dem Ehemann Beppo Konkurrenz. Er scharwenzelt um Clara herum, flirtet hemmungslos. In der Probenszene rutscht das Stück gar ins Surreale: Lajanni verwandelt sich während seiner Annäherungsversuche nach und nach in einen Hund, der nach Streicheleinheiten lechzt. In Hundemanier hechelt er der Sängerin hinterher – und hat damit zum Leidwesen des Ehemanns Erfolg. Am Schluss verschwinden die beiden hinter dem glitzernden Vorhang.
Vieles ist möglich in dieser langen Nacht des Wartens. Die einen nutzen die erzwungene Pause, um sich auszutoben. Andere, wie die langjährige Scala-Besucherin Liselotte Bini (Rachel Matter), lamentieren – auch gesanglich – über das Älterwerden. Immer wieder taucht zwischen dem silbernen Vorhang Jürg Kienbergers Wuschelkopf auf. Der vielfach ausgezeichnete Kabarettist und Stimmakrobat ist in der Rolle des Komponisten Pierre Grosskopf zu sehen.
Ein stimmungsvoller Musiktheaterabend
Kienberger wird sein musikalisches Talent unter anderem mit seiner Glasharfe einbringen, mit der er bereits in anderen Bühnenprogrammen für feine Töne sorgte. Musikalisch tragen zudem die georgische Pianistin Tamar Midelashvili und der Kontrabassist Daniel Sailer zu einem stimmungsvollen Musiktheaterabend bei. Die Panik kommt in dieser Uraufführung nur im Titel vor – das kunterbunte Chaos à la Fellini ist aber vorprogrammiert.
Panik an der Scala
Premiere: Sa, 2.6., 20.00
Postremise Chur
Schweizer Tournee: www.ressortk.ch
Ursprünglich eine Politsatire
«Panik in der Scala» gehört zu den bekanntesten Erzählungen des italienischen Autors und Malers Dino Buzzati (1906–1972). Anhand einer Premierengesellschaft, die sich aus Angst vor einer drohenden Revolution in der Mailänder Scala verbarrikadiert, beschreibt er die Mechanismen einer Gesellschaft in Zeiten von Umbrüchen. Die Ängstlichen bangen um ihren Wohlstand, die Opportunisten bejubeln präventiv den Feind. Und wie immer angesichts drohender Gefahr werden Sündenböcke gesucht.
Buzzati beschreibt in seiner 1949 erschienenen Gesellschaftssatire, wie Gerüchte sich zu Krisen ausweiten und wie die Angst vor Verlust die engherzigen Seiten in den Menschen weckt. In der Ausnahmesituation macht die Vernunft irrationalem Verhalten Platz.