Schemenhafte Figuren an einem Lagerfeuer in der Nacht: Die jungen Leute geben sich einem Veitstanz hin, als habe sie die Tarantel gestochen. Das ist der Beginn der Filmarbeit «Papagaio» der portugiesischen Künstler João Maria Gusmão (37) und Pedro Paiva (39). Sie drehten die 43-minütige Voodoo-Zeremonie angeblich auf dem Archipel São Tomé e Príncipe, einer ehemaligen portugiesischen Kolonie im Golf von Guinea vor der afrikanischen Küste.
Mystisches umsetzen
Das Aargauer Kunsthaus stellt die Künstler jetzt in einer Ausstellung vor. Die beiden Familienväter haben sich dem Mystischen verschrieben. Sie wollen eine unerklärliche Wirklichkeit künstlerisch umsetzen und dem Besucher näherbringen. «Sie fangen in ihren Filmen, Skulpturen, Fotografien und Camera-Obscura-Installationen die magischen Momente alltäglicher Szenen und beiläufiger Gesten ein», heisst es im Ausstellungstext.
Nun ist zumindest in westlichen Augen eine Voodoo-Szene nicht zwingend alltäglich. Doch dieses Video ist, obwohl sehr berühmt, nicht wirklich typisch für ihre künstlerischen Arbeiten. Meist setzen sie auf kurze, banale Episoden, etwa das Brutzeln eines Spiegeleis. Die Künstler haben das beneidenswerte Talent, aus einem Nichts eine grosse Sache zu machen – ohne Kommentare und Dialoge. Stummfilme im digitalen Zeitalter, das ihnen offenkundig suspekt erscheint. Gedreht werden immer 16- und 35-Millimeter-Filme.
Brutzelnde Spiegeleier haben die beiden offenbar derart gepackt, dass sie das Phänomen gleich in eine Bronze-Skulptur mit dem Titel «Flipping a fried egg» umgesetzt haben. Museumsdirektorin Marianne Schuppli sagt dazu: «Sie spielen mit den Wahrnehmungsebenen.»
Anerkennung geniesst das Duo tatsächlich. Es mag einem breiteren Publikum hierzulande zwar noch unbekannt sein. Aber seine Werke waren schon in zahlreichen renommierten Museen zu sehen, etwa der Londoner Tate Modern. Vor sieben Jahren vertrat es zudem Portugal an der Biennale in Venedig.
Metaphysisch
Gusmão & Paiva berufen sich auf eine geheimnisvolle Abissology, worunter sie die «Abgrundwissenschaft» oder eine Theorie des Nichtwahrnehmbaren verstehen. Sie stammt aus dem Roman «La Grande Beuverie» des heute nahezu unbekannten Franzosen René Daumal (1908–1944). Der früh verstorbene Aussenseiter hatte sich der experimentellen Metaphysik verschrieben, prägnanter gesagt dem Okkultismus vulgo Hokuspokus.
Doch es steckt mehr dahinter, nämlich Philosophie und Kulturgeschichte, schreibt der englische «Guardian» über Gusmão & Paiva: «Immer wieder blitzen der argentinische Fantast Jorge Luis Borges und der portugiesische Schriftsteller Fernando Pessoa in diesem künstlerischen Labyrinth auf.» Und das Frankfurter Museum für Kunst zitiert gar den italienischen Staatsphilosophen Niccolò Machiavelli im Zusammenhang mit den beiden Portugiesen: «Wie sanft ist doch die Täuschung!» Dann bewirkt sie am meisten.
Am nächsten kommt dem Duo indes der Verweis auf den viktorianischen Tausendsassa Eadweard Muybridge, einen filmischen Tüftler. Das kluge Kerlchen kam auf die famose Idee, 36 Fotoapparate nebeneinander aufzustellen und ein Pferd an der Installation vorbeigaloppieren zu lassen. Es löste mit seinen Bewegungen die Fotos aus, sodass eine Art Film entstand. Genau darauf berufen sich Gusmão & Paiva mit ihren Kunstproduktionen.
Mit viel Humor
Gusmão & Paiva haben Humor, und so ist man sich nie ganz sicher, wie ernst sie es meinen. Etwa mit der Skulptur, die einen stilisierten Mann zeigt: «Steve wondering if he could actually walk», lautet der Titel. Der Betrachter möchte Steve mit seinem Würfelkopf und seinen Knopfaugen zurufen, es besser nicht zu versuchen. Sein Gleichgewicht könnte sich als prekär erweisen.
Museumsdirektorin Marianne Schuppli hat die beiden Künstler vor zwei Jahren in deren Atelier in Lissabon besucht. Sie arbeiten in einer alten Garage, die sie wie ein Studio in verschiedene Abteilungen gegliedert haben, etwa für die Filme oder die Bronze-Skulpturen. Schuppli ist froh, dass sie das Duo schon damals für eine Ausstellung in Aarau gewinnen konnte: «Seither sind sie europaweit viel gefragter und schwierig zu bekommen.»
Sanfte Annäherung
Marianne Schuppli empfiehlt den Museumsbesuchern, «sich diesen Werken wie einer Zwiebel zu nähern und sie Schicht um Schicht zu entblättern». João Maria Gusmão und Pedro Paiva vermögen mit ihrer Kunst den Betrachter dennoch im Ungewissen zu lassen. Er ahnt zwar stets, was dahinter stecken könnte. Aber vielleicht ist gerade das nicht gemeint, sondern das Gegenteil. Oder eben nicht.
João Maria Gusmão & Pedro Paiva
Sa, 30.4.–So, 7.8.
Aargauer Kunsthaus Aarau