Porträtband: Die Flüchtigkeit des Glücks
Die Fotografinnen Sandra Schmid und Sandra Bühler haben die Welt bereist und Menschen nach ihren Lebensgeschichten befragt. Entstanden sind 80 feinfühlige Porträts in Text und Bild.
Inhalt
Kulturtipp 15/2018
Babina Cathomen
«Man entwickelt sich nicht zum Freak, man wird so geboren.» Die 29-jährige Sandy hat sich schon als Kind allen Konventionen widersetzt, mit 12 liess sie sich das erste Piercing stechen. Die Zürcherin ist eine der 80 Porträtierten im neuen Band «Menschen wie du & ich».
Gepiercte, Ganzkörper-Tätowierte, Männer in Frauenkleidern und andere, die nicht der Norm entsprechen – die Urteile sind nach einem B...
«Man entwickelt sich nicht zum Freak, man wird so geboren.» Die 29-jährige Sandy hat sich schon als Kind allen Konventionen widersetzt, mit 12 liess sie sich das erste Piercing stechen. Die Zürcherin ist eine der 80 Porträtierten im neuen Band «Menschen wie du & ich».
Gepiercte, Ganzkörper-Tätowierte, Männer in Frauenkleidern und andere, die nicht der Norm entsprechen – die Urteile sind nach einem Blick schnell gefällt. «Oft habe ich das Gefühl, nicht in diese Welt zu gehören», sagt etwa die Piercerin Sandy. «Es tut weh zu sehen, wie engstirnig, verbittert und intolerant unsere Gesellschaft ist.»
Die 28-jährige Aargauerin Sandra Schmid und die 30-jährige Luzernerin Sandra Bühler wollten diesen Vorurteilen entgegenwirken. Während vier Jahren waren die zwei Fotografinnen und Grafikerinnen immer wieder auf Reisen in Amerika, Afrika, Asien und Europa. Sie sind ohne Berührungsängste auf Menschen zugegangen, die sie interessant fanden. «Was hat dich im Leben am meisten geprägt?» Auf diese Frage haben die beiden einen erstaunlich offenherzigen Einblick in fremde Leben erhalten. Festgehalten haben sie die Begegnungen in je einem schlichten Schwarz-Weiss-Porträt und einem kurzen Text. Ohne Sensationsgier, ohne Wertung erzählen sie von der Vielfalt des Lebens. Die beiden Weltenbummlerinnen fördern tieftraurige, kämpferische oder fröhliche Geschichten zutage. Nebst Zufalls-Bekanntschaften haben sie auch gezielt über Hilfsorganisationen nach Zeitzeugen gesucht, etwa 9/11-
Überlebende. Die tragischen Schicksale überwiegen: So die Geschichte von Jose, einem ehemaligen Kindersoldaten aus Angola. Oder Nick, der 23 Jahre lang unschuldig im Todestrakt sass. Aber auch die Lebensfreude sprüht aus einigen Porträts: wie bei der 100-jährigen Baslerin Margrit, die ihr Millionenerbe verschenkte. Oder Tertulien aus Los Angeles mit seinem ansteckenden Lachen: Er ist in einer freikirchlichen Pfingstbewegung aufgewachsen und hat sich durch die Musik von den starren Regeln befreit. «Wenn ich singe, empfinde ich pures Glück», sagt er heute.
Buch
Sandra Schmid
Sandra Bühler
Menschen wie du & ich
(Stämpfli Verlag 2018)