Die Französin Christine de Pizan erlebte als junge Frau das Fegefeuer auf Erden. Sie wurde Ende des 14. Jahrhunderts frühzeitig Witwe, stand mit drei Kindern allein da. Zwar stammte sie aus einer wohlhabenden Familie, doch ihr Vater verlor mit dem Tod König Karls V. sein Vermögen. Christine de Pizan musste kämpfen – und entdeckte das Schreiben: «Mit Freuden wirst du aus dem Gedächtnis gebären …», schrieb sie an sich selbst gerichtet.
Entwurf einer neuen weiblichen Utopie
Diese Selbstfindung einer spätmittelalterlichen Philosophin beschreibt der deutsche Germanist Armin Strohmeyr in seinem neuen Buch «Grosse Philosophinnen – Wie ihr Denken die Welt prägte». Darin erweist er so unterschiedlichen Persönlichkeiten die Reverenz wie der Mystikerin Hildegard von Bingen (1098–1179) oder der französischen Existenzialistin Simone de Beauvoir (1908–1986). Neben diesen weitherum bekannten Denkerinnen erinnert Strohmeyr auch an Frauen, die im kollektiven Bewusstsein weniger verankert sind.
Christine de Pizan (1364–1429) ist tatsächlich kaum bekannt. Ihr Hauptwerk «Das Buch der Stadt der Frauen» kennen jedoch viele, zumal es bis heute modern anmutet. Sie entwirft darin die Utopie eines weiblichen Gemeinwesens, das ausschliesslich auf Rationalität und Tugend gründet: «Es bietet künftig allen hochherzigen und rechtschaffenen Frauen einen Ort der Zuflucht, eine umfriedete Festung gegen die Schar der boshaften Belagerer.» Sie erkannte die politische Sprengkraft ihrer Gedanken und sah diese im Kreuzzug der jungen Heldin Jeanne d’Arc gegen die englischen Invasoren im Hundertjährigen Krieg bestätigt.
In einer noch gefährlicheren Zeit lebte die heiliggesprochene Philosophin Edith Stein (1891 – 1942). Sie wuchs in einer jüdischen Familie in Breslau auf und promovierte in Freiburg beim Philosophen Edmund Husserl, der sich der Phänomenologie verschrieben hatte. Er betrachtete die Dinge der Aussenwelt möglichst ohne subjektive Interpretation. Stein erweiterte den Gedanken durch den Begriff der «Einfühlung». Diese sei nicht das Erfassen fremder Argumente, sondern das Erfühlen des inneren Erlebens anderer Personen.
Stein wäre für eine akademische Laufbahn prädestiniert gewesen. Doch ihre Habilitation wurde an deutschen Universitäten immer wieder abgelehnt. Dazu kamen Enttäuschungen in ihrem persönlichen Leben, und sie hatte mit Depressionen zu kämpfen. Halt fand sie schliesslich im katholischen Glauben und trat 1933 in das Kölner Karmelitinnenkloster Maria in Frieden ein, wo sie sich der Gottessuche verschrieb: «Jeder Mensch ist ein Gottessucher … Nicht, was er für eine Gemeinschaft leistet – für Familie, Volk, Menschheit – ist letzter Massstab, sondern ob er dem Ruf Gottes folgt.»
Verständlicher Einstieg in Vorstellungen von damals
Edith Stein musste vor den Nationalsozialisten nach Holland flüchten, wo sie nach der deutschen Invasion 1940 von ihren Verfolgern eingeholt wurde. Bestrebungen, in die Schweiz zu flüchten, scheiterten an bürokratischen Hürden. Edith Stein wurde mit ihrer Schwester in Auschwitz ermordet.
Christine de Pizan oder Edith Stein prägten bei all ihren Unterschieden die Gedankenwelt ihrer Zeit mit. Dieses Buch vermittelt einen verständlichen Einstieg in die Vorstellungen wegweisender Philosophinnen ihrer Zeit und bietet so Volkshochschule vom Feinsten.
Buch
Armin Strohmeyr
Grosse Philosophinnen –Wie ihr Denken die Welt prägte
318 Seiten
(Piper 2021)