Der Oberwalliser Präfekt Herbert Volken ist CVP-Grossrat und ein Besessener. Er ist auf der Suche nach den Knochen von Kardinal Matthäus Schiner (1465–1522) und will die Gebeine in dessen Geburtsort Ernen VS überführen. Dafür durchbohrt er in einer römischen Kirche eine Wand, denn Schiner soll unter dem Grab von Papst Hadrian VI. liegen – oder auch nicht. So genau weiss das niemand.
«Der grösste Walliser»
Das ist die Rahmengeschichte des Dokumentarfilms «Das Schlachtross des Papstes – Kardinal Schiner, Marignano und die Neutralität», den das Schweizer Fernsehen ausstrahlt. Filmer Roland Huber rekapituliert die Geschichte, die 1515 zu dieser Schlächterei zwischen der Alten Eidgenossenschaft und Frankreich führte – mit gewaltigen Verlusten auf beiden Seiten. Zwischen 5000 und 8000 Franzosen sowie 8000 bis 10 000 Schweizer Söldner verloren ihre Leben. Huber belegt im Film den politischen Stellenwert, den diese Schlacht aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen heute hat und zu einer etwas abgehobenen Debatte führte. Die Rechte leitet aus der Niederlage von Marignano die Neutralität und die Abschottung des Landes gegen aussen ab. Für die Linke dagegen geht diese Neutralität lediglich auf das 19. Jahrhundert zurück; der Mythos Marignano stehe der «internationalen Solidarität» des Landes entgegen, wie der Soziologe Jean Ziegler im Film sagt.
Den Schiner-Enthusiasten im Wallis ist es egal. Für Hobby-Archäologe Herbert Volken ist der Kardinal «der grösste Walliser überhaupt, noch wichtiger als üschere Sepp» und meint damit den Noch-Fifa-Präsidenten Sepp Blatter. Unwidersprochen bleibt diese Meinung allerdings nicht.
Pro und Kontras
Der Lokalhistoriker Werner Bellwald bezeichnet Schiner als einen «Kriegstreiber». Und Francesco Walter von den Musiktagen in Ernen findet, Schiner habe an seinem Geburtsort «kein Mausoleum verdient». Er ärgert sich schon heute über eine Statue auf dem Dorfplatz, die an den Kirchenfürst erinnert. Ganz anders im Kantonshauptort Sion, deren Bischof Schiner zu Beginn seiner Laufbahn war. Dort gehört die Erinnerung an den Kirchenfürsten zum Programm jeder touristischen Stadtführung.
Was weiss man tatsächlich über diesen Matthäus Schiner? Laut Bellwald «müssen wir uns eingestehen, dass wir eigentlich fast nichts von ihm wissen». Der rechts-liberale Historiker und Journalist Markus Somm beschreibt dagegen Schiner «als ein rhetorisches Genie. Wiederholt gelang es ihm, die Eidgenossen zu überreden, zu charmieren oder einzuschüchtern.» Somms Buch über die Schlacht von Marignano erscheint in Kürze.
Für Schiner als Demagoge spricht, dass er die eidgenössischen Soldaten in der Schlacht anfeuern konnte, nachdem die Sache längst entschieden war. «Intelligent, hinterlistig, mässig korrupt» sei der Kardinal laut Somm gewesen. Der Kirchenmann kämpfte mit Überzeugung für die Sache des Papstes, was ihn nicht daran hinderte, mindestens vier Töchter zu zeugen. Sein Hass auf die Franzosen war so gross, dass er selbst die Aufmerksamkeit des englischen Königs Heinrich VIII. fand, eines lebenslangen Franzosenfeindes.
Das Geheimnis bleibt
Nach 1515 verlor Matthäus Schiner zusehends politischen Einfluss, in seinem heimatlichen Wallis wollte man ihn nicht mehr haben. In seinem Todesjahr 1522 glühte sein Stern noch einmal auf, er wurde fast zum Papst gewählt, hätten sich nicht die französischen Kardinäle gegen ihn gewandt. Kurze Zeit später verstarb er in Rom, sei es an der Pest oder Syphilis. So genau weiss auch das keiner.
Roland Huber hat einen sehr guten Dokumentarfilm gedreht. Mit Geschick verbindet er die aktuelle historische Debatte mit der geschichtlichen Überlieferung. Und verwebt viel Walliser Lokalkolorit in die Dokumentation, die den Zuschauer in der Überzeugung bestärkt, dass etliche Klischees dieser Landesecke ihre Berechtigung haben.
Ach ja: Herbert Volken und seine Maulwürfe haben im untersuchten römischen Grab tatsächlich Knochenreste gefunden. Die Walliser Gerichtsmedizin untersucht jetzt ihre DNA, um zu eruieren, ob sie vom Kardinal stammen oder nicht. Was immer dabei herauskommt – das Ergebnis wird die Geheimnisse um Matthias Schiner nicht lüften.
Das Schlachtross des Papstes – Kardinal Schiner, Marignano und die Neutralität
Do, 10.9., 20.05 Fernsehen SRF 1