Für manche Menschen sind Podcasts das, was für andere früher ein gutes Buch oder ein ansprechender Wein war: Man empfiehlt sie mit Begeisterung seinen Freunden. «Kennst du diesen Podcast?» – Der Satz fällt heute gern einmal bei einem Abendessen unter Freunden. Die Menschen hören Geschichtspodcasts zum Pendeln, Psychologieserien zum Putzen, Gesprächsformate zum Kochen und True Crime zum Einschlafen.
Beispielloser Aufschwung
Das Audioformat, das zeit- und ortsunabhängig übers Smartphone gehört werden kann, hat in den letzten 20 Jahren einen beispiellosen Aufschwung erfahren. Dies zeigen auch die Zahlen, die der Schweizer Branchenverband Interessengemeinschaft elektronische Medien (IGEM) diesen August publizierte.
Demnach hören 400'000 Schweizerinnen und Schweizer täglich einen Podcast – das ist ein Drittel mehr als noch ein Jahr zuvor. Unternehmen sind schon längst mit von der Partie Will man wissen, weshalb das Format so beliebt ist, fragt man am besten jemanden wie Dino Giglio. Der frühere Radiomoderator betreibt seit 2019 die Podcast-Agentur Audiokanzlei. Er nennt mehrere Gründe für den stetig steigenden Podcastkonsum. Zum einen habe die Corona-Pandemie dem Genre einen Aufschub verschafft.
Zum anderen habe mit dem Podcast eine Demokratisierung im Bereich Medien stattgefunden. «Theoretisch können all jene, die ein Mikrofon besitzen, einen Podcast produzieren – das macht dieses Format nahbar», so Giglio. Der Podcast-Spezialist sitzt an einem Hochtisch in einem hellen Ladenlokal in Zürich: das dritte und jüngste Studio der Audiokanzlei. In der Mitte des Raums schieben Teammitglieder auf Bildschirmen Tonspuren hin und her.
«Als Podcaster darf man nicht zu viel wollen»
Im hinteren Teil hat Giglio einen Aufnahmebereich eingerichtet: Schallschluckwände und Vorhänge rahmen zwei Sessel, Mikrofone und Kameras auf Ständern ein. Giglio und sein Team beraten unter anderem Unternehmen. Denn heute lassen längst auch Bahngesellschaften und Branchenverbände, Universitäten, Museen und Stiftungen ihre eigenen Serien produzieren. «Das Ohr verzeiht nichts» Doch was macht einen guten Podcast aus? «Als Podcaster darf man nicht zu viel wollen», sagt Giglio.
Man müsse sich eine thematische Nische suchen und den Zuhörerinnen und Zuhörern möglichst etwas bieten, was sie so noch nicht kennen. Und natürlich müsse die Qualität der Produktion stimmen. «Die Hörer sind schnell weg, denn das Ohr verzeiht nichts.» Dino Giglio ist auch Präsident des Vereins Suisse Podcast, der kürzlich die neue App Suisse Podcast herausbrachte. Überdies organisiert der Verein in Zürich das erste Suisse Podcast Festival.
Neben der Podcastkonferenz Dezibel in Winterthur ist dies der zweite Anlass, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Schweizer Szene stärker zu vernetzen. Die beiden Branchenanlässe bieten nebst Workshops und Vorträgen auch Liveshows fürs breite Publikum. Beim Suisse Podcast Festival tritt etwa Nadja Zimmermann mit ihrem Reisepodcast «Tschüss & Ciao» auf, bei Dezibel spricht unter anderem Sara Taubman-Hildebrand in der Bühnenversion ihres Formats «Psychologos» mit dem forensischen Psychiater Frank Urbaniok.
Faszinierendes Phänomen: Livepodcasts
Livepodcasts sind ein faszinierendes Phänomen der letzten Jahre. Mittlerweile gibt es kaum eine erfolgreiche Serie, die nicht auch auf Tour geht. Die Macherinnen von «Bezihungskosmos» füllten schon das Berner Konzertlokal Bierhübeli, der deutsche Podcaster Philipp Fleiter führte seine True-Crime-Serie «Verbrechen von nebenan» 2022 sogar zweimal im ausverkauften Zürcher Volkshaus auf.
Es mag auf den ersten Blick erstaunen, dass ausgerechnet der Podcast, das Medium des individualisierten und mobilen Medienkonsums schlechthin, die Menschen in die Konzertsäle lockt. Doch Dino Giglio sieht darin keinen Widerspruch. Ein guter Gesprächspodcast lasse bei den Hörern eine Art Stammtischatmosphäre aufkommen. Er gebe einem das Gefühl, bei etwas Privatem dabei sein zu dürfen. «Die Hörerinnen und Hörer bauen eine persönliche Beziehung zu ihren Lieblingspodcastern auf und wollen die dann natürlich auch live erleben.»
Die Schweizer kommen auf den Geschmack Solche Liveshows, ja, das Genre Podcast generell, werden weiter an Popularität gewinnen – davon ist Dino Giglio überzeugt. Die Schweizer kämen gerade erst so richtig auf den Geschmack. Seine Prognose: Nebst Unterhaltungsformaten von Komikern werden Wissenspodcast beliebt bleiben. «Ihre Stärke ist, dass sie uns zwingen, selber Bilder im Kopf zu erzeugen. Das ist wie bei den Hörspielen aus der Kindheit: Die Informationen, die wir hier hören, bleiben einfach hängen.»
Giglios Vergleich ist spannend, führt er doch zurück zur Frage der Popularität. So, wie manche ein Leben lang Fans der Hörspiele ihrer Jugend bleiben, sind andere heute ihren Lieblingspodcasts treu. Als der deutsche Hörspiel-Podcast «Ausnahme der Rose» kürzlich aus der Sommerpause zurückkam, war der Tenor der Hörerinnen und Hörer eindeutig: endlich neue Folgen! Das Podcastpublikum ist unersättlich.
Suisse Podcast Festival
Liveshows Fr, 3.11., ab 20.00 Kraftwerk Zürich
www.suisse-podcast.ch
Dezibel
Liveshows
Do, 16.11., ab 18.30
Museum Schaffen, Kino Cameo und weitere Orte Winterthur ZH
www.dezibel.io