Zuerst war Regisseurin Teresa Kolbe wenig begeistert von Anthony Shaffers etwas altbackenem Theaterstück «Revanche» aus dem Jahr 1969. Zwei Männer, die sich im Hahnenkampf um eine Frau streiten, die selbst nie zu Wort kommt – wo sollte hier heutzutage der Reiz liegen? Doch beim zweiten Mal Lesen hat es die junge Berlinerin mit dem wilden Haarschopf gepackt: «Interessiert haben mich vor allem die starken Gegenpole Liebe und Geld. Gewinnt die Liebe oder das Kapital im Spiel des Lebens? Diese Frage ist heutzutage höchst aktuell», sagt Kolbe vor den Proben in der St. Galler Lokremise.
Handel unter Männern
Das Stück des britischen Dramatikers Anthony Shaffer, der auch Drehbücher für Agatha-Christie-Filme und für Regisseur Alfred Hitchcock geschrieben hat, geht von einer ungewöhnlichen Ausgangslage aus: Der erfolgsverwöhnte Krimiautor Andrew lädt Milo, den jungen Liebhaber seiner Frau Marguerite, zu sich nach Hause ein. Im Gespräch unter Gentlemen will er die Absichten seines Widersachers klären. Äusserst höflich geht es denn auch bei der ersten Begegnung zu und her: «Sie wollen also meine Frau heiraten?», fragt Andrew. «Nun ja … Mit ihrer Erlaubnis natürlich», bestätigt Milo. Wie sich herausstellt, ist Andrew dem Plan gar nicht so abgeneigt, hat er selbst doch längst eine neue Geliebte.
Allerdings liebt Marguerite den Luxus – und der junge Tanzlehrer Milo scheint nicht über die geeigneten Ressourcen zu verfügen. «Das Einzige, was ich zu wissen benötige, ist: Können Sie es sich leisten, sie mir vom Hals zu schaffen?», fragt Andrew, nun weniger gentlemanlike. Milo kann nicht, und so eröffnet Andrew ihm seinen Plan: Milo soll Andrews Safe leer räumen, um mit der verhökerten Summe lebenslänglich für Marguerite sorgen zu können – und für Andrew springt dabei die Freiheit und ein hübsches Sümmchen der Versicherung raus. Milo lässt sich nach anfänglichem Zögern darauf ein. Allerdings hat er nicht mit der Rachelust seines vermeintlichen Verbündeten gerechnet. Wie die Katze mit der Maus spielt dieser mit Milo – plötzlich geht es um Leben und Tod. Und Tage nach dem fingierten Raub taucht ein mysteriöser Inspektor bei Andrew auf und bringt diesen mit seinen Fragen ins Schwitzen …
Wahrheit und Illusion
Shaffers Krimikomödie spielt gekonnt mit der Wahrnehmung der Zuschauer. Wo liegt die Wahrheit, und wo beginnt die Illusion? Regisseurin Teresa Kolbe hat sich für dieses Spiel mit der Illusion ein paar theatralische Kniffe ausgedacht. Nicht nur die Hauptfiguren unterliegen einer Täuschung, sondern auch das Publikum selbst. Anfänglich wird es regelrecht eingelullt durch das gefällige Bühnenbild und die Tanzmusik aus den 20ern: Ein riesiger Kronleuchter und eine Wand aus Gold ziehen den Blick auf sich. In Andrews gediegenem Heim türmen sich altertümliche Plattenspieler, Tonbandgeräte oder Radios, aus denen Swing erklingt.
Beim Probenbesuch ist die erste Szene im Gang, in der sich die beiden Platzhirsche Andrew (Marcus Schäfer) und Milo (Julian Sigl) noch einträchtig im Swing nebeneinander wiegen. Doch bald schon umkreisen sich der gehörnte Ehemann und der junge Liebhaber wie zwei Boxer in einem Ring. Der intellektuelle und manchmal auch physische Schlagabtausch beginnt. Zunehmend schleichen sich in die Geräuschkulisse Misstöne ein. Mit den immer verzerrteren Tönen gerät die Welt der beiden Hauptfiguren in die Schieflage.
Kolbe hält sich in ihrer Inszenierung eng an den Originaltext. Die Regisseurin will aber ihre eigene Version der Krimikomödie, die zigmal auf der Bühne zu sehen war und zweimal verfilmt wurde, entwickeln. Von der «Altherren-Ästhetik» mit Kamin und Ohrensessel der britischen Filmadaption «Mord mit kleinen Fehlern» von 1972 entferne sie sich ganz, sagt sie. Mehr anfangen kann sie mit der rasanteren Neuverfilmung «1 Mord für 2» aus dem Jahr 2007. So verströmt ihre Inszenierung weniger eine gemächliche Agatha-Christie-Atmosphäre, sondern geht eher in Richtung Psychothriller.
Zweischneidigkeit
Im Vorfeld hat sich Kolbe mit der Frage beschäftigt, wie sich der psychologische Druck zwischen den beiden Rivalen auf der Bühne darstellen lässt – für Inspiration sorgte Altmeister Hitchcock. Für die Rolle ihres Inspektors wählt sie nicht den klassischen Columbo-Typ, sondern einen Mann im Rollstuhl, der auf den ersten Blick schwächer als der Gegner wirkt. Und auch die sexuelle Anziehung zwischen Andrew und Milo, die im Filmremake «1 Mord für 2» von Drehbuchautor und Nobelpreisträger Harold Pinter hinzugefügt wurde, spart sie nicht aus. «Die Zweischneidigkeit reizt mich», sagt Kolbe und gibt damit den Takt ihrer Inszenierung abseits vom Schwarz-Weiss-Denken vor.
Revanche
Premiere: Mi, 18.12., 20.00 Lokremise St. Gallen
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