Plattform für einen Kunstrebellen
Das Künstlerpaar Edward und Nancy Kienholz setzt in seinen Installationen ätzende Gesellschaftskritik um. Jetzt sind die Werke im Basler Tinguely Museum zu sehen.
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Kulturtipp 04/2012
Rolf Hürzeler
Befreite Sexualität oder kommerzialisierter Sex? Die Installation «The Bronze Pinball Machine with Woman Affixed also» (Bild ganz rechts) des Künstlerpaars Edward (Ed) und Nancy Kienholz zeigt zwei Seiten der Erotik: Der Betrachter ist mit einer entseelten Sexualität konfrontiert, aber auch mit einer Befreiung von den gesellschaftlichen Normen in den prüden USA. Der Spielautomat mit den bronzenen Frauenbeinen ist eines der Werke in der neuen Ausstell...
Befreite Sexualität oder kommerzialisierter Sex? Die Installation «The Bronze Pinball Machine with Woman Affixed also» (Bild ganz rechts) des Künstlerpaars Edward (Ed) und Nancy Kienholz zeigt zwei Seiten der Erotik: Der Betrachter ist mit einer entseelten Sexualität konfrontiert, aber auch mit einer Befreiung von den gesellschaftlichen Normen in den prüden USA. Der Spielautomat mit den bronzenen Frauenbeinen ist eines der Werke in der neuen Ausstellung «Kienholz. Die Zeichen der Zeit» im Basler Museum Tinguely.
US-Kunstrevolte
Damit gibt das Museum dem grössten US-amerikanischen Kunstrebellen des letzten Jahrhunderts eine Plattform. Edward Kienholz (1927–1994) litt in den 1950er-Jahren unter der reaktionären Repression des McCarthy-Regimes in der Nachkriegszeit, als jeglicher Freiheitsdrang des Kommunismus verdächtigt wurde. «Adrenalingetränkter Zorn hat mich durch meine Arbeit getrieben», erinnerte sich Kienholz an seine Anfangsjahre.
Kienholz steht für den künstlerischen Ausdruck der US-Revolte wie Woodstock in der Musik. Er setzte auf eine eigenwillige Ästhetik, verbunden mit einer ätzenden Gesellschaftskritik: Rassismus, Sexismus, Militarismus, Repression – das gesamte gesellschaftskritische Programm schrieb sich der Künstler auf die Fahnen. Da mutet es ironisch an, dass diese Werke nun ausgerechnet in einer vom globalen Pharmakonzern Roche getragenen Kulturinstitution, dem Tinguely Museum, zu sehen sind.
Edward Kienholz kam 1927 im US-Bundesstaat Washington zur Welt. Der Autodidakt schuf ab 1954 in Los Angeles erste Holzreliefs und begann, verschiedene Materialien zusammenzustellen. Drei Jahre später gründete er mit dem visionären US-amerikanischen Kurator Walter Hopps eine Gallerie. In jener Zeit wandte sich Kienholz den «Tableaux» zu, seinen raumgreifenden Installationen aus alten Materialien. In den 60er- und 70er-Jahren war er eine Identifikationsfigur der Linken.
Frage der Staatsmacht
Ab 1972 arbeitete er intensiv mit seiner zweiten Frau Nancy zusammen. «The Ozymandias Parade» (1985; Bild links oben) ist ein beispielhaftes Werk für die Kunst der beiden. Die aussergewöhnliche Werkbezeichnung erinnert an ein Gedicht des englischen Dichters Percy Bysshe Shelley, jenem wohlhabenden Atheisten, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor der Küste Italiens ertrank. «Parade» verweist laut Nancy Kienholz zudem auf US-amerikanische Militärparaden hin. Sie gelten als wichtigste Machtdemonstration für reaktionäre US-Amerikaner.
Das Werk mit 687 Glühbirnen als Insignien der Staatsmacht stellt die Grundfrage: «Sind Sie mit Ihrer Regierung zufrieden?» Die Frage enthält natürlich die Antwort – keine Regierung richtet sich nach den Interessen ihres Volkes. Die Installation gibt zahlreiche Hinweise darauf, zum Beispiel in der Figur einer geschröpften Steuerzahlerin, die der Mutter von Edward Kienholz nachempfunden ist. Und der General steht für Nancys Vater, er war Polizeipräsident in Los Angeles.
Moral und Politik
Angesichts dieser künstlerisch-politischen Aussagen mutet es als Koketterie an, wenn Nancy Kienholz heute sagt, «dass Edward Kienholz nie ein politischer Künstler war». Er sei der Meinung gewesen, «dass Politik zu schäbig ist, um Kunst daraus zu machen». Immerhin räumt sie ein, dass ihm die moralischen Werte der Politiker wichtig waren.
Sie erinnert sich, wie das Paar 1972 mitten im Kalten Krieg nach Berlin zog, um dort zu arbeiten. Auf den Flohmärkten deckten sie sich mit angejahrtem Material ein. Sie suchten besonders nach dem Radiomodell «Volksempfänger», das der Nazi-Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in den 30er-Jahren lanciert hatte. Diese Apparate, ebenso wie die altertümlichen Fernsehgeräte
aus den Schwarz-Weiss-Zeiten, dienten den medienkritischen Installationen des Paars.
Kienholz und Tinguely
Ed Kienholz und Jean Tinguely lernten sich 1962 in Los Angeles kennen. Der Schweizer hatte eine Ausstellung in der Everett Ellin Gallery. Der damalige Galeriebesitzer war einer der grossen US-amerikanischen Kunstvisionäre und setzte sich für Neue Medien als Teil der künstlerischen Moderne ein. Tinguelys Partnerin Niki de Saint Phalle schuf dort ihre Schiess-Installation, bei der Besucher mit einem Gewehr Farbbeutel zur Explosion bringen konnten. Kienholz und Tinguely halfen mit beim Bau des Werks. Danach trafen sich die beiden immer wieder. 1965 unternahmen sie einen Ausflug, der den Anstoss zum Tableau «The American Trip» gab. Kienholz erinnerte sich, dass er Amerika dank Tinguely mit europäischen Augen zu sehen lernte: «Jean und ich werden von Los Angeles aus mit dem Auto fahren, so lange, bis wir uns von einem Ding, einem Ort, einer Situation etc. gezwungen sehen, etwas zu tun ...»