Pipilotti Rist Videokünstlerin des Sinnlichen
Heimspiel für die weltgewandte Videokünstlerin Pipilotti Rist: Die Rheintalerin konfrontiert die Besucher im Kunstmuseum St. Gallen mit ihren Videoinstallationen.
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Kulturtipp 12/2012
Rolf Hürzeler
Verzerrte Männergesichter, rudernde Frauenbeine, verspielte Schatten, laublose Bäume: Das sind Sequenzen der Videokünstlerin Pipilotti Rist, die sie für das Pariser Centre Pompidou unter dem Titel «A la belle étoile» geschaffen hat. «Unter freiem Himmel» begrüsst die Besucher des St. Galler Kunstmuseums. Die Videoinstallation ist erstmals in der Schweiz zu sehen und Teil ihrer neuen Ausstellung mit dem Titel «Blutbetriebene Ka...
Verzerrte Männergesichter, rudernde Frauenbeine, verspielte Schatten, laublose Bäume: Das sind Sequenzen der Videokünstlerin Pipilotti Rist, die sie für das Pariser Centre Pompidou unter dem Titel «A la belle étoile» geschaffen hat. «Unter freiem Himmel» begrüsst die Besucher des St. Galler Kunstmuseums. Die Videoinstallation ist erstmals in der Schweiz zu sehen und Teil ihrer neuen Ausstellung mit dem Titel «Blutbetriebene Kameras und quellende Räume».
«Das ist eine Midcareer Exhibition», sagt Kurator Konrad Bitterli über die Schau, die er mit Pipilotti Rist installiert. Soll heissen, die 50-jährige Künstlerin zieht eine Bilanz ihrer Laufbahn. Dabei greift sie auf bisherige Arbeiten zurück: So sind zum Beispiel frisch zusammengestellte Sequenzen aus ihrem Kinofilm «Pepperminta» zu sehen. Das ist jene Produktion mit der fabelhaften Titelheldin, einer Königin der Farbfantasien, sowie dem Antimacho Werwen. Zu sehen ist auch die Audio-Video-Installation «Administrating Eternity» unter anderem mit Schafen, die sich wie die Kandidatinnen einer Miss-Schweiz-Show präsentieren.
Nach letzten Ausstellungen in der Londoner Hayward Gallery und in Mannheim tritt Pipilotti Rist in St. Gallen nun zur Heimkehr an. Sie stammt aus dem Rheintaler Dorf Grabs, einem nahe gelegenen Flecken, den man bei einem Besuch nicht zwingend mit zeitgenössischer Kunst in Verbindung bringt.
Unter Beobachtung
Laut Kurator Bitterli steht die Ausstellung wegen der lokalen Verbundenheit unter besonderer Beobachtung: «Bei einem Heimspiel ist der Druck immer grösser als anderswo», sagt er. Er ortet zudem «eine Schweizer Missgunst gegenüber den Erfolgreichen», die Pipilotti Rist immer wieder zu spüren bekomme. Missgunst oder nicht. Sie ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Videokünstlerinnen, die internationale Anerkennung geniessen. So schreibt der Londoner «Guardian», dass ihre Arbeit «ans Eingemachte geht, sie ist bodenständig, sexy – pralles Leben». Um dann leicht süffisant hinzuzufügen: «Ihre Werke machen süchtig wie die Teletubbies und sprechen einen gedanklich ähnlich schräg an.» Man erinnert sich: Die Teletubbies waren jene unförmig-sinnlichen Figuren, die in den TV-Kinderprogrammen über den Bildschirm stolperten.
Frühe Rebellion
Rist kommt aus einer Arztfamilie und fand ihre Selbstfindung in der Rebellion, auch wenn sie heute betont, dass sie nicht provozieren will. Das ist ihr zumindest in einem Fall nicht ganz gelungen. Als sie 2005 an der Biennale in Venedig ihre Videoinstallation «Homo sapiens sapiens» auf die Decke der Kirche San Staë projizierte. Die Kunstkritik war zwar begeistert, der Besucherandrang grossartig, doch die Freude der katholischen Kirche mässig, da Rists Homo sapiens im biblischen Evakostüm zu sehen war.
Für die Künstlerin war die Nacktheit in der Kirche anscheinend zwingend. «Wir brauchen mehr Haut und weniger Angst vor der Berührung. Eigentlich entstehen meine Arbeiten aus der Neugier, zu erfahren, was es heisst, den Körper zu spüren», sagte sie der «Süddeutschen Zeitung».
Rist ist mit andern Worten ein wandelndes Gesamtkunstwerk, wie schon ihr Name sagt. Getauft ist sie auf Elisabeth Charlotte. Die Familie rief sie Lotti, für Freunde war sie Pipi – nach Pipi Langstrumpf. Sie selbst nannte sich erstmals in Wien Pipilotti. Sie habe damals zwar noch nicht gewusst, dass sie einmal Künstlerin werde, aber anscheinend war sie schon eine.