kulturtipp: Regisseur Sebastian Baumgarten ist bekannt dafür, dass er Opern kontrovers darstellt – wie etwa seinen Zürcher «Don Giovanni» oder den Bayreuther «Tannhäuser» in der Biogasanlage. Mich verwundert es sehr, dass Sie für seine Zürcher Inszenierung von «Turandot» zugesagt haben.
Piotr Beczala: Sebastian hat mir vor drei Jahren versichert, dass das, was wir hier machen, mit dem Stück «Turandot» zu tun haben wird. Für mich war diese Aussage ausreichend, um den Vertrag zu unterschreiben. Ich habe in meinen 31 Jahren kaum Probleme mit Regisseuren gehabt. Und wenn, dann konnte ich sie ausdiskutieren. Auch in Zürich im «Ballo in maschera» mit David Pountney.
Aber das war doch alles …
… ja, heute ist das klassisch, aber damals gab es viel zu diskutieren. Bald singe ich «Lohengrin» in Paris unter der Regie von Kirill Serebrennikow.
Das wird bestimmt eine Herausforderung: Sie sind mutig geworden!
Mut und Neugierde gehören dazu. Sonst könnte ich nur in alten klassischen Inszenierungen mitwirken. Vor vielen Jahren hat man mich kritisiert, dass ich gegen moderne Regie sei: Stimmt nicht, bin ich nicht. Aber das, was gemacht wird, muss mit dem Stück zu tun haben.
Wie lange dauert Ihre Probezeit in Zürich?
Fünf Wochen.
Einst sagten Sie mir: «Wenn die Probezeit mehr als fünf Wochen dauert, ist ein Opernhaus schlecht organisiert oder das Konzept zu weit vom Original entfernt, sodass man besser gar nicht zusagt.»
Ja, das glaube ich jetzt noch: Man macht dann zu viel.
Wir redeten auch über «Othello». Sie sagten: «Okay, lassen wir das Schiff weg, aber schwarz schminken muss man ihn.» Welche Musts gibt es für Sie bei «Turandot»?
Wir entwickeln uns alle weiter. Ich sehe das Thema «Othello» heute durchaus nuancierter. Aber zu «Turandot»: Gestern, nach einem langen Probetag, fand ich es sehr schlüssig, was der Regisseur gemacht hat. Ich sehe da keine Probleme.
«Regisseur Sebastian Baumgarten stellt sich der Herausforderung, den chinesischen Exotismus und den Ausstattungspomp, welcher der Oper anhaftet, in eine zeitgemässe Form zu überführen», heisst es in der Ankündigung.
Klingt intelligent.
Gut, aber alle machen immer auf Kammerspiel – ob «Aida» oder «Turandot». Darf Oper nicht mehr pompös sein?
Doch, sicher, die Musik von Puccini ist ja auch pompös. Und keine Angst: Wir werden szenisch mit ziemlich grosser Kelle anrichten. Die Balance zwischen dem Pompösen und dem Kammerspiel wird aber auch da sein. Kommen wir auf die Musts: Man muss gut auf die Themen des Werks achten, sonst geht es nicht auf. Es hat noch keiner Inszenierung gutgetan, komplett am Thema vorbeizugehen oder auf den historischen Kontext zu verzichten, obwohl man das mittlerweile gerne macht.
«Chinesischen Exotismus» ins Heute überführen: Geht das?
Nach wenigen Tagen Proben kann ich wenig sagen, aber es soll ein Märchen sein. Positiv formuliert, geht es ja darum, das Fremde faszinierend zu finden. Im modernen China gibt es haufenweise Faszinierendes: Potenzmittel aus Tigerzähnen und die bis heute produzierten Drachen als Glücksbringer etwa. Und wichtig: Es gibt in China Dinge, die man nicht sagen darf: Zensur! Ich, der Calaf, werde ein Rebell sein. Das ist interessant.
Sie glauben an die Produktion.
Ich habe keine andere Wahl: Wenn ich nicht an diese Produktion glaube, dann muss ich sie sofort verlassen. Und selbst was mein Kostüm angeht, hoffe ich, dass es im Endeffekt eine gewisse Wirkung haben wird.
Darf ich es sehen?
Calaf soll ein Superheld sein à la Batman: comicmässig heldenhaft.
«Vincerò» hiess eine Ihrer CDs. Jetzt singen Sie dieses «Vincerò» eingebettet in eine ganze Oper. Aber Sie werden trotzdem auf diese eine Arie reduziert. Schlimm?
Für manche Leute ist es wirklich so, dass sie eine gesamte Aufführung aufgrund einer einzigen, keine drei Minuten umfassenden Arie beurteilen. Das würde heissen, ich könnte die ganze Oper «Turandot» grossartig singen, wenn ich aber den Schluss in «Nessun dorma» vermassle, ists aus. Das gibt es auch bei anderen Opern: Wenn ich bei Verdis «Trovatore» in «Di quella pira» kein C rausschmettere, habe ich die Rolle nicht im Griff. Das ist Blödsinn.
Da ist doch ein gewaltiger Druck vor der Arie!
Nein, nein, das lasse ich nicht zu. Es ist eine Frage der psychischen Einstellung, jeder Tenor muss damit fertig werden. Ich bin seit 30 Jahren auf der Bühne und kann damit leben. Ich versuche, vom ersten Moment an eine Geschichte zu erzählen: Das «Vincerò» ist darin genauso viel wert wie eine kleine Phrase zu Beginn der Oper.
Seit Pavarotti die Arie beim Konzert mit den «Drei Tenören» 1990 in den Nachthimmel schmetterte, hatte alle Welt ihn im Ohr. Auch Sie werden mit Pavarotti verglichen.
Vielleicht, aber das ist mir ziemlich wurscht. Ich kenne die Operngeschichte gut, kann 30 Aufnahmen nennen, die mit jener Pavarottis vergleichbar sind: Tenöre, die die Arie anders singen und ebenso bestehen.
Turandot
Premiere: So, 18.6., 19.00 Opernhaus Zürich