Picasso in Bern Der Künstler als Erotomane
Diesen Druckgrafiken kann sich niemand entziehen. Pablo Picasso demonstrierte mit ihnen die «Macht des Eros». Unter diesem Titel läuft eine neue Ausstellung im Kunstmuseum Bern.
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Kulturtipp 04/2011
Letzte Aktualisierung:
11.03.2013
Rolf Hürzeler
Der alte Maler und das junge Modell: Picassos Druckgrafik (siehe rechts) illustriert die spannungsgeladene Beziehung zwischen dem weiblich Verführerischen und der männlichen Begierde. Eine übersteigerte Sexualität ortete der deutsche Kunstkritiker Werner Spies in solchen Darstellungen: «Die Atelierszenen dienen Picasso immer wieder dazu, die erotische Spannung des Künstlers und des Modells als Erotomanie zu gestalten.»
Das versetzt den Betrachter in d...
Der alte Maler und das junge Modell: Picassos Druckgrafik (siehe rechts) illustriert die spannungsgeladene Beziehung zwischen dem weiblich Verführerischen und der männlichen Begierde. Eine übersteigerte Sexualität ortete der deutsche Kunstkritiker Werner Spies in solchen Darstellungen: «Die Atelierszenen dienen Picasso immer wieder dazu, die erotische Spannung des Künstlers und des Modells als Erotomanie zu gestalten.»
Das versetzt den Betrachter in die Rolle des Voyeurs. Und diese spiegelt Picasso im kleinen Kobold, der hinter dem Pinsel des Malers hervorlugt. Ein Voyeur, der anscheinend genauer wissen will, was sich zwischen Modell und Künstler abspielt. Die Druckgrafik ist Teil einer Serie von 347 Radierungen, die der 87-jährige Künstler im Sommer 1968 in Südfrankreich gestaltete – in einer schier unglaublich intensiven Schaffensperiode. Picasso arbeitete jeweils am Morgen und vollendete zuweilen mehrere Platten an einem Tag. Am Mittag ätzten seine Drucker die Entwürfe; er arbeitete mit den legendären Brüdern Aldo und Piero Crommelynck zusammen, die auch für Künstler wie David Hockney oder Jasper Johns tätig waren. Bereits am Abend hielt Picasso die ersten Probedrucke zur Begutachtung in der Hand. Im Herbst 1968 zeigte er sie in der Pariser Galerie Louise Leiris unter dem Titel «347 gravures».
Erotik ist im Werk Picassos seit den 1930er-Jahren in allen möglichen Varianten omnipräsent. Auch die Beziehung zwischen Maler und Modell beschäftigte ihn schon früher, wie der Steindruck «Les deux modèles nus» von 1954 zeigt (siehe Bild links unten). Dennoch unterscheidet sich dieses Werk vom 68er-Druck. Die sexuelle Anziehung zwischen den Frauen und dem Künstler erscheint hier dem Betrachter weniger eindringlich. Der Maler richtet seinen Blick intensiv auf sein Werk, während die zwei Frauen ihren Blick von ihm abwenden. So erübrigt sich ein versteckter Voyeur, weil es wenig Knisterndes zu sehen gibt.
Einmal mehr in Bern
Hinter der Berner Ausstellung steht eine jener kuriosen Regelungen, die das Schweizer Kunstleben so farbig machen: Die Druckgrafiken stammen aus dem Fundus des Zürcher Textilindustriellen Georges Bloch (1901–1984). Dieser sammelte seit Mitte der 20er-Jahre druckgrafische Blätter von Picasso und kannte den Künstler persönlich. Nach dessen Tod 1973 kamen rund 2000 Arbeiten in den Besitz Blochs, der später 500 grafische Blätter der Gottfried-Keller-Stiftung schenkte. Gleichzeitig machte er die Auflage, die Blätter in acht Schweizer Museen zu deponieren: Im Abstand von fünf Jahren muss der Reihe nach jedes dieser Häuser einen Teil der Blätter zeigen. Nach mehr als 30 Jahren kommt wieder das Kunstmuseum Bern zum Zug.