Am Anfang stand die Frage eines jungen Menschen, der nach einem Vortrag auf Philipp Blom zukam: «Kann man überhaupt noch hoffen in dieser Zeit?» In einem Buch in Briefform gibt der Philosoph nun Antworten – und wirft neue, Gedanken anregende Fragen auf. Sein Band «Hoffnung – Über ein kluges Verhältnis zur Welt» plädiert nicht für einen naiven Optimismus, sondern für beherztes Handeln im Hinblick auf eine bessere Welt. «Hoffnung ist nur dann möglich, wenn sie Handlungsspielräume öffnet, die Fähigkeit, aus sich selbst heraus Veränderungen zu bewirken», schreibt er. Und: «Hoffnung entsteht aus der Weigerung, sich einfach ins Unvermeidliche zu schicken.»
Blom jongliert in seinem Buch mit vielen Themen gleichzeitig, ordnet historisch ein und geht einem Gefühl auf die Spur, das eng mit der Frage, was unserem Leben Sinn gibt, verknüpft ist. Und er wirft die Frage auf: Wie bleiben wir in einer technologischen, profitgetriebenen und digitalisierten Welt im Austausch mit der Natur – nicht als Herrscher über die Natur, sondern als Teil von ihr?
kulturtipp: In Ihrem neuen Buch zählen Sie zuerst mal die Gründe auf, die gegen die Hoffnung sprechen – Klimakrise, Artensterben, die Risiken der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz. Wo gibt es dennoch Hoffnung?
Philipp Blom: Wenn man in die Geschichte zurückschaut, sieht man Menschen, die in verzweifelten Zeiten gehofft haben, weil sie wussten, dass sie etwas Sinnvolles taten. Sie haben gehofft, ohne Rücksicht darauf, ob ihre Hoffnung realistisch, das Ziel erreichbar war. Aber sie hatten die innere Sicherheit, dass ihr Tun sinnvoll war.
Worin findet der Mensch in heutigen Zeiten Sinn?
Wenn ich etwas finde in meinen Zielen, das über mich selbst und meine biologische Lebensspanne hinausweist. Etwas, was es mir wert ist, mich dafür einzusetzen – etwa die Tatsache, dass ich in einer gerechteren Gesellschaft leben will, welche die Natur nicht zerstört.
Sie schreiben im Buch auch, dass viele, die sich für ihre Träume einer gerechteren Welt eingesetzt haben, zwar zu ihren Lebzeiten nicht erfolgreich waren, aber einen Schritt hin zu unseren heutigen Errungenschaften beigetragen haben.
Ja, ein Beispiel sind die Frauenrechte. Die meisten Menschen, die dafür gekämpft haben, sind in dem Bewusstsein gestorben, gescheitert zu sein. Aber nur weil sie gekämpft hatten, wurde dieses Engagement so weitergetrieben, dass Frauen und Männer heute zumindest gesetzlich und in Teilen der Welt gleichgestellt sind.
Das ist ein riesiger Fortschritt. Der persönliche Horizont ist also nicht immer ausschlaggebend, es gibt einen grösseren historischen Horizont, von dem man Teil ist. Nicht alles, was ich tue, trägt schon hier und jetzt Früchte.
Der Einsatz für das grosse Ganze kann Sinn stiften. Aber wie sieht es mit dem individuellen Glück aus?
Das individuelle Glück ist ungreifbar. Wenn man den Menschen immer nur predigt, dass sie Individuen sind, die im Wettkampf gegeneinander stehen, dann muss man sich nicht wundern, wenn sie sich auf ihren individuellen Horizont beschränken. Und dieser ist meist nicht gross genug, um so etwas wie Hoffnung zu ermöglichen.
Was braucht es denn, damit die Menschen wieder hoffen können – jenseits von Religion und politischen Ideologien?
Erstmal ist die Hoffnung ja nicht immer etwas Gutes – auch die Nazis haben auf die Herrschaft der Herrenrasse gehofft. Man muss sich damit auseinandersetzen, welches Ziel es Wert ist, sich dafür zu engagieren. Dann kommt die berühmte Frage: Warum bin ich eigentlich hier, wofür mach ich das alles? Wenn ich etwas finden kann, das mir den Anfang einer Antwort gibt, dann ist das der erste Funken Hoffnung. Sei es einfach der Wille, in einem Land zu leben, in dem auch in 50 Jahren Kinder gedeihen können – das hat mit dem Klima, der Demokratie oder dem Reichtum des kulturellen Lebens zu tun. Und da gibt es viele Möglichkeiten, sich einzusetzen.
«Ein Leben ohne Geschichten ist ein Leben ohne Hoffnung», schreiben Sie. Und betonen die Wichtigkeit von gemeinsamen sinnstiftenden Geschichten in der Gesellschaft. Wie gelingt das?
Wir bestehen ja aus Geschichten, die wir seit unserer Kindheit gehört haben. Sie sagen uns, was gut und böse ist, welcher Kampf es wert ist, gekämpft zu werden. Ich glaube, für jeden von uns ist es wichtig, sich als Teil einer grossen Geschichte zu fühlen – als Teil unserer Gesellschaft, unserer Art, unserer Familie.
Eine Geschichte zu haben, heisst eine Vergangenheit und eine Zukunft zu haben. Die antidemokratische-populistische Rebellion in Europa und den USA hat vielleicht auch damit zu tun, dass viele Menschen denken, dass das, was wir eine liberale Demokratie nennen, ihnen keine Geschichte mehr bietet, in der sie sich wiederfinden.
Manche haben das Gefühl, die populistischen Parteien hätten eine stärkere Geschichte zu erzählen. Aber wenn wir in einer Gesellschaft leben, welche die Zukunft am liebsten verhindern will, weil sie bedrohlich aussieht, dann wird es schwer, sich eine Geschichte zu erzählen. Dann werden Menschen frustriert und hoffnungslos.
Die Spaltung in der Gesellschaft ist gross, jeder lebt heute in seiner eigenen (digitalen) Bubble, sodass es schwierig ist, eine gemeinsame Geschichte zu finden.
Was ist eine Demokratie anderes, als eine grosse Unterhaltung darüber, wo wir stehen und wo wir hinwollen? Wenn wir das nicht mehr aufgrund derselben Fakten tun, bricht diese Unterhaltung zusammen.
Wir brauchen gesellschaftliche Mechanismen wie die öffentlichen Medien, die uns Zugang zu Fakten geben, die relativ vertrauenswürdig und unparteisch sind. Oder ein anderes Beispiel: Überall sterben Dörfer aus. Man kann diese Dorfzentren wiederbeleben, damit die Menschen wieder miteinander ins Gespräch kommen.
Das sind niederschwellige Projekte. Es soll nicht einfach um philosophisches Reden über grosse Ideen gehen, sondern auch um solche Fragen, die man konkret angehen kann.
Welche Rolle spielt die Kultur – Literatur, Kunst, Film, Musik – dabei, Sinn zu stiften und die Hoffnung nicht zu verlieren?
In Zeiten, in denen man das Gefühl hat, wir würden auf den Ruinen der alten Zeiten leben und hätten noch kein neues Haus zum Bewohnen, sind künstlerische Ausdrücke besonders wichtig: um neue Perspektiven auf unsere Realität zu haben. Um Geschichten zu haben, in die wir uns hineinträumen können.
Um unsere eigene Gegenwart zu relativieren, indem wir uns die Erfahrung von anderen Menschen zugänglich machen – den emotionalen Horizont von Menschen aus anderen Religionen und Kulturen, von heute oder aus früheren Zeiten. Kultur stärkt die Gemeinschaft, öffnet neue Horizonte, gibt uns eine Orientierung für unser Leben. Die Kunst liefert das nicht vorgefertigt ab Stange, aber sie stellt Fragen, bietet Modelle an, bildet Erfahrungen ab. Und das ist essenziell für einen Dialog.
Buch
Philipp Blom
Hoffnung – Über ein kluges Verhältnis zur Welt
160 Seiten
(Hanser 2024)
Die Geschichte der Hoffnung
Während Philipp Blom das Thema Hoffnung assoziativ angeht und unterschiedliche Thesen aufstellt, geht der Altphilologe Jonas Grethlein in seinem neuen Buch der Ideengeschichte der Hoffnung chronologisch von der Antike bis ins 21. Jahrhundert nach. Wie wurde die Hoffnung im Verlauf der Jahrtausende bewertet? Da hat die tröstende, segensreiche Wirkung des Hoffens, die Goethe beschrieb, genauso Platz wie die Frage von Klimaaktivistin Greta Thunberg, ob die Hoffnung uns gar von den notwendigen Schritten abhält, die Welt zu retten.
Jonas Grethlein
Hoffnung – Eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis zum Klimawandel, 352 Seiten, C. H. Beck 2024