Die Pariser Oper verschreit ihr Rekordjahr laut: Mit 1,7 Prozent mehr Besuchern stiegen die Einnahmen auf 57,14 Millionen Euro an, sechs Prozent mehr als im Vorjahr. «Alle Zeiger stehen auf Grün», sagt Intendant Nicolas Joel. Für die Saison 2012/13 sind sogar für Richard Wagners «Ring des Nibelungen» bereits mehr als 20 000 Plätze verkauft. Ein 37-jähriger Schweizer wird das deutsche Riesenepos dirigieren, einer, der in Paris geradezu verehrt wird.
Dieser Philippe Jordan ist zwar kein Zauberer. Aber er baut seine Karriere erstaunlich ähnlich auf wie die Überfigur Herbert von Karajan, der Dirigent des 20. Jahrhunderts: Karrierestart in Ulm, eine Zwischenstation, dann Berlin – schliesslich Paris, Wien, Bayreuth und Salzburg. «Man sollte das nicht überbewerten, aber ich halte sehr viel von diesem traditionellen Kapellmeisterweg», so Jordan. Seine Heimat, die Schweiz, brauchte der Sohn des Dirigenten Armin Jordan (1932–2006) nicht zum Aufstieg. Er wollte nicht, dass es hiess: «Der Sohn von Armin…» Dafür lehnte er sogar die prestigeträchtige Chefdirigentenposition am Opernhaus Zürich ab. «Es war mir sehr wichtig, meinen eigenen Weg zu gehen: Aber dafür war die Schweiz zu klein und mein Vater zu präsent», so Jordan.
1974 geboren, singt Philippe mit 12 Jahren in Zürich einen der drei Knaben in Mozarts «Zauberflöte»; mit 16 gehts ins Konservatorium. Mit 18 assistiert er bereits seinem Vater Armin, mit 20 bei Jeffrey Tate in Paris – Richard Wagners «Ring des Nibelungen» stand schon damals an. Er wird Kapellmeister in Ulm (1994/95), wechselt bald als Assistent von Daniel Barenboim an die Berliner Staatsoper (1998–2001). Danach wird er Generalmusikdirektor in Graz, acht Jahre später Chefdirigent der Pariser Oper. Ab 2014 wird er Chefdirigent der Wiener Symphoniker sein. Jordan hat die Berliner ebenso wie die Wiener Philharmoniker längst dirigiert und in New York, London, Mailand und Salzburg Opern geleitet. Berühmte Säle, legendäre Opernhäuser! Ihm sind sie egal: «Ganz ehrlich. Das Einzige, was mich inspiriert, sind begeisterte Kollegen.»
Dirigierend geniessen
Damals in Zürich, als er sich als Gymnasiast in die Schlange der Legi-Besucher vor der Opernhauskasse stellte, fiel er auf, weil er unter den Erwachsenen nicht auffiel. Er trug schon mit 16 Jahren karierte Kittel wie 80-jährige Dirigentenlegenden à la Wolfgang Sawallisch. Kaum das Studium hinter sich, begann Jordan eine Opern-Kapellmeisterausbildung, wie sie wohl kein anderer geniessen oder erleiden durfte. Der Vater liess ihn nicht einfach dirigieren, sondern war der Meinung, der Sohn müsse wissen, wie das von Grund auf gehe: Wissen, wie das ist, bei Opernproben acht Wochen lang am Klavier zu sitzen. Oder wissen, ob man Mozarts «Don Giovanni» noch mag, wenn man mit den Sängern hundertmal dieselben Stellen durchgegangen ist.
Fragt man Jordan, wann sein Werdegang einen entscheidenden Sprung gemacht habe, erwähnt er nicht sein Debüt mit den Berlinern oder Wienern. Wichtiger ist ihm eine zyklische Aufführung von Richard Wagners vierteiligem, 15-stündigem «Ring des Nibelungen» in Zürich. Keine Premiere, kein Prestigeanlass! Aber in diesen Aufführungen der Saison 2008/09 lernte Jordan, Musik dirigierend zu geniessen. Das war nötig, denn nachdem er quasi alles erreicht hatte, stellte sich ihm die Sinnfrage: «Will ich diesen Beruf in
20 Jahren noch machen, immer dieselben Werke dirigieren, die ich schon mit 18 kennengelernt habe?» Das Einverständnis drängte sich nur auf, wenn er noch besser und seine Arbeit noch spannender würde, da ihm alles leicht von der Hand ging.
Seine Wagner-Liebe bringt ihn dieses Jahr erstmals nach Bayreuth, einen Pilgerort, den er vor zwei Jahren das erste Mal besucht hat: «Nachdem ich in Paris ‹Rheingold› und ‹Walküre› dirigiert hatte, wollte ich weiterkommen und war überzeugt, dass der Klang von Bayreuth ein Teil der Partitur ist, obwohl nur ‹Parsifal› für das Festspielhaus geschrieben wurde. Ich konnte den ‹Ring› nicht vollenden, ohne nicht einmal in Bayreuth gewesen zu sein.»
Er besuchte Generalproben, erfuhr viel von der Atmosphäre, der Akustik sowie von Bayreuth-Regent Christian Thielemann. Kurz darauf kam ein Anruf von der Bayreuther Festspielleitung, ob er 2012 «Parsifal» dirigieren würde. Natürlich fuhr er 2011 gleich wieder hin, um weiterzulernen. «Einfach hingehen und mal jungfräulich dirigieren, das geht dort nicht», sagt er ehrlich.
Mit kritischem Blick
Bayreuth, so muss man wissen, ist für jeden Dirigenten ein Sprung ins kalte Wasser, dirigiert man doch aus dem sogenannten «mystischen Abgrund» heraus: Über dem Orchester liegt ein Holzdeckel, der den Klang ideal mischt und dämpft. Daran sind schon viele verzweifelt. Jordan dazu: «Ich weiss nun, wo die Gefahren liegen, weiss, was auf mich zukommt.» Die Inszenierung von Stefan Herheim hat er gesehen – anfänglich kritisch beäugt, ist sie mittlerweile Kult in Bayreuth. Jordan zeigt sich mit kritischem Blick zufrieden damit: «Es ist unglaublich gut gemacht, auch wenn es mal Details gibt, über die man diskutieren könnte. Es ist eine Arbeit, die funktioniert.»
Ein rundum zufriedener Mensch? Fast. Etwas würde er gerne vermehrt tun: Seine Kunst verewigen und CDs aufnehmen. Immerhin spielt er mit seinem Pariser Opernorchester eine CD pro Jahr ein – im Unterschied zu Karajan ziert nicht er das Cover. Falsche Bescheidenheit? «Alles zu seiner Zeit», sagt er lächelnd.
[CD]
Strauss
Eine Alpensinfonie
Orchester der Pariser Oper
(Naïve 2010).
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[DVD]
Busoni: Doktor Faust
Opernhaus Zürich
(arthaus 2007).
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[DVD]
Wagner: Tannhäuser
Baden Baden
(arthaus 2009).
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