kulturtipp: Philippe Bach, Sie springen in Hallwyl kurzfristig für den englischen Dirigenten Douglas Bostock ein, der sich einer Schulteroperation unterziehen muss. Nun opfern Sie für «Il barbiere di Siviglia» Ihren Sommer.
Philippe Bach: Ja, aber es hat mich gereizt, in der Schweiz einmal eine Oper zu dirigieren, was ich noch nie getan habe. Und ich mag «Il barbiere di Siviglia» sehr. Als ich in Madrid Assistent am Teatro Real war, habe ich viel über Gioachino Rossini gelernt. Ich wurde in Madrid geradezu ein Rossini-Fan und dirigierte «Il barbiere di Siviglia» in einer sehr schönen Produktion. Ich hatte zudem Gelegenheit, Rossini-Spezialist Alberto Zedda bei Rossinis «Pietra del paragone» zu assistieren. Herrlich, welche Energie dieser 84-Jährige versprüht, welches Wissen er weitergibt.
Ganz einfach ist Ihre Aufgabe in Hallwyl aber nicht. Es wird ja unter freiem Himmel gespielt.
Ich habe in Hallwyl noch nie eine Oper gesehen, stelle mir das im Schlosshof aber schön vor. Im Sommer herrscht dort bei gutem Wetter sicher eine tolle Stimmung. Das Wetter ist bei einer Freiluft-Produktion halt immer ein heikler Punkt.
Haben Sie damit Erfahrungen?
Ich dirigierte letzten Sommer Richard Wagners «Rienzi» openair im thüringischen Meiningen. Es war eine tolle Produktion, aber wir hatten leider etwas oft Wetterpech. Wenn es kalt ist, dann ist es für alle schwer, vor allem aber für die Musiker und die Sänger.
Wagners selten gespieltes Riesenopus «Rienzi» bei Kälte und Regen – dann kann Sie ja nichts mehr erschüttern. Dennoch: Wissen Sie, was Sie auf dem Schloss-Gelände erwartet?
Nur vom Hörensagen, aber heutzutage ist man sich viel gewohnt. Ich dirigierte schon einmal die zeitgenössische Oper «The Tempest» von Thomas Adès allein über Monitore. Ich war mit dem Orchester hinter der Bühne. In Hallwyl werde ich, genau wie Douglas Bostock in den vergangenen Jahren, links oben dirigieren. Mir wurde gesagt, dass man auf Schloss Hallwyl die Sänger sehr gut hören könne, was mich beruhigt. Mich können die Sänger über Monitore sehen. Bei Rossini stehen die Sänger im Zentrum, wir vom Orchester begleiten und unterstützen sie.
Und dirigiert man bei einem Openair-Konzert – ähnlich wie bei der Regie – mit Vergrösserungsglas?
In Meiningen spielten wir in einem Park, und alles ging über Mikrofone. In Hallwyl hingegen arbeiten wir ohne Technik. Ich denke nicht, dass man deswegen die Tempi verändern sollte. Aber es ist sicher schwieriger, dynamische Kontraste zu erreichen: Spielt man zu leise, hört man es nicht, und das Laute ist wohl gar nicht so laut. Diese Extreme gilt es auszuloten, damit es eine Differenzierung gibt. Das Orchester ist relativ klein beim «Barbiere», da gibt es Grenzen, wie laut man spielen kann.
Ist es nicht so, dass das Orchester bei einer Openair-Aufführung immer in der Nebenrolle ist?
Vielleicht. Das Optische ist bei Freiluft-Veranstaltungen nun mal entscheidend. Es bleibt für mich dennoch eine Herausforderung, auch in Hallwyl einen warmen Klang zu erschaffen. Man ist technisch eingeschränkt, hat Auf- und Abgänge, die es sonst nicht gibt. Bis man nur schon auf der Bühne steht, dauert es eine gewisse Zeit. Dafür hat man dann vielleicht Szenen, die sehr authentisch sind. Der «Barbiere» ist ein Nachtstück, aber wir beginnen nun mal um 20.15 Uhr, wenn es noch hell ist. Damit muss man sich abfinden.
Oder mit einem Gewitter.
Das wäre natürlich aussergewöhnlich, würde während des «Barbiere»-Gewitters tatsächlich ein Gewitter losbrechen …
In der Schweiz gibt es einen Opern-Freiluftboom: Von Avenches bis St. Gallen, von Solothurn bis Pfäffikon wird gespielt. Fast 600 000 Leute reisen zudem nach Bregenz und Verona. Wie erklären Sie sich das?
In Deutschland ist dieses Phänomen viel weniger ausgeprägt, da
es viele Theater gibt und die Leute regelmässig ins Theater gehen. In der Schweiz gibt es einen Trend zu grossen Events, womit man wohl versucht, vermehrt ein jüngeres Publikum anzulocken. Es ist zu hoffen, dass der eine oder andere von der Oper gepackt wird und dann öfters hingeht.
Philippe Bach
Philippe Bach wurde 1974 in Saanen bei Gstaad geboren. Er studierte Horn an der Musikhochschule Bern und anschliessend Dirigieren an der Musikhochschule Zürich bei Johannes Schlaefli und am Royal Northern College of Music in Manchester bei Sir Mark Elder. 2006 bis 2008 war er Assistent von Jesús López Cobos am Teatro Real in Madrid. Im Juni 2007 gab er dort sein Debüt mit «Madame Butterfly». 2008/09 war Bach Erster Kapellmeister und Stellvertretender Generalmusikdirektor am Theater Lübeck und dirigierte regelmässig an der Hamburgischen Staatsoper. Seit 2011 ist er Generalmusikdirektor der Meininger Hofkapelle und des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen (180 000 Zuschauer pro Jahr). Als Gast leitete Philippe Bach unter anderem das Tonhalle-Orchester Zürich, das London Philharmonic Orchestra und das Basler Sinfonieorchester.
Schweizer lieben Openair-Opern
Freiluftbühnen sind bei Schweizerinnen und Schweizern beliebt – allerdings nicht nur die einheimischen: Zehn Prozent der insgesamt 600 000 Besucher der Opernfestivals in Verona und Bregenz reisen aus der Schweiz an. Dies trotz zahlreicher Aufführungen vor der Haustür in Avenches, Hallwyl, Schinznach AG und ab 2013 in Pfäffikon ZH.