Für einmal kommt er nicht im schwarzen T-Shirt und Jeans daher, sondern adrett im Anzug. «Philipp», sagt er. «Isch es okay?» Und erklärt gleich den ungewohnt formalen Auftritt. Nach dem Gespräch gehts zu einem internationalen Literaturempfang.
Die Nähe, das Informelle und die Vernetzung, nicht nur international, sondern gerade auch in der Schweiz: Das umreisst gut, was den neuen ordentlichen Professor für Neuere Deutsche Literatur der Uni Zürich ausmacht. Seit Juli hat der 44-jährige Philipp Theisohn einen festen Platz am Deutschen Seminar. Und mit ihm nicht nur die Schweizer Gegenwartsliteratur, sondern vor allem die Vermittlung.
«Kultur als Gegensatz von Konsum»
Wie kein anderer Professor ist Philipp Theisohn selbst in der Öffentlichkeit präsent: an Podien, mit Moderationen oder als Rezensent. Zudem hat er das «Schweizer Buchjahr» aufgebaut: einen Buchblog, mit dem er mit seinen Studierenden bei allen wichtigen literarischen Veranstaltungen der Schweiz anwesend ist. Der neue Professor trägt die Literaturwissenschaft aus dem universitären Elfenbeinturm hinaus.
«Wir müssen uns differenziert über Kultur unterhalten können», erklärt der deutsche Germanist. «Geisteswissenschaften schulen kritisches Denken. Sie machen das Leben komplizierter.» Kultur sei der Gegensatz von Konsum, der zweckdienlich sei und das Leben erleichtere. «Kunst ist das ideale Laboratorium, um Ideologien zu untersuchen, sie werden dort permanent auf- und abgebaut», ist Theisohn überzeugt.
Wer ein Buch liest, geht einen Pakt mit dem Autor ein und glaubt, was dieser geschrieben hat. Gleichzeitig wissen Leser: Die Wirklichkeit im Buch ist gemacht. Sie setzen sie mit ihrem realen Umfeld in Bezug. «Wir alle laufen in unserem Alltag mit bestimmten Erzählungen herum. Wir müssen nach deren Bedingungen und Entstehungsweisen fragen», sagt Theisohn.
Erzählungen, Ideologien, vorgefertigte Bilder: Das spielt auch in seinem eigenen Fach. Ein grosser Teil der Schweizer Öffentlichkeit sehnt sich noch immer nach einem Schriftstellerphilosophen nach dem Vorbild von Dürrenmatt oder Frisch. Neue Autoren werden daran gemessen, derweil Frauen durch das Raster fallen. Aber Philipp Theisohn ist Querdenker: «Kein Erwartungsdruck bedeutet auch Freiheit. Ich habe deshalb grosse Hoffnung in heutige Autorinnen.»
Theisohn hat sich mit Büchern über das Plagiat oder über die Geschichte des literarischen Orakels, mit Forschung in grossen Denk- und Zeiträumen einen Namen gemacht. Mit seinen Studierenden klopft er nun Neuerscheinungen nach Themen ab, die relevant sind, neu auftauchen oder gerade wieder verschwinden. Die Gegenwartsliteratur ist in Bewegung. Was bleiben wird, weiss man noch nicht. Das ist ihr Reiz.
Philipp Theisohns Kulturtipps
Musik
Deicide
«Das Florida-Quartett um Glen Benton spielt fröhliche metallische Musik für Jung und Alt. Darf man nicht verpassen.»
Mi, 14.8., 20.00 Dynamo Zürich
Buch
Simone Meier: Kuss
(Kein & Aber 2019)
«Meiers Drittling liest sich ein bisschen wie Twin Peaks in der Agglo. Ein freches Buch, das man sich unbedingt kaufen sollte.»
Film
Parasite
(Regie: Bong Joon-ho)
«Goldene Palme in Cannes, wahnsinnige Bilder – ein grosser Film rollt da an aus Korea. Über Familien und für Familien. Am besten im Original schauen.»