«Wunschträume sind wichtig, um das eigene Leben zu gestalten. Für ihr Erreichen muss man aber Umwege in Kauf nehmen.» Philipp Schnyder von Wartensee sitzt in einem nüchternen Sitzungsraum des Migros-Genossenschafts-Bunds in Zürich und blickt in blumigen Worten auf die letzten 30 Jahre zurück. Damals, als junger Bassist der Reggaeband Ganglords, formulierte er seinen Wunschtraum. «Ich wollte es schaffen, von der Musik leben zu können», sagt der gebürtige Luzerner, der seit 1987 in Zürich lebt. Kurz darauf hatte Schnyder zudem eine «Vision», die seinen Umweg einleitete. «Nach vielen Reisen zu Festivals und Musikmessen wurde mir klar, dass in der Schweiz ein Treffpunkt der Musikbranche fehlte, um sich zu vernetzen.» Mit einem Freund erarbeitete er ein Konzept und stiess damit auf offene Ohren beim Migros-Kulturprozent.
Zum Bass greift er nur beim TV-Schauen
So entstand «m4music», das 1998 erstmals stattfand. Schnyder wurde dafür von der Migros zu 40 Prozent angestellt, heute umfasst sein Job als Festivalleiter 80 Prozent. «Obwohl unsere drei Standbeine mit Konzertprogramm, Diskussionspodien und Nachwuchsförderung bis heute funktionieren, haben wir uns weiterentwickelt», sagt er. Ausgebaut wurde etwa die Demotape-Clinic mit Preisen und Mentoring für junge Bands. «Da wir am Puls des Musikgeschehens sind, reagieren wir stets auf spezielle Entwicklungen. Die Digitalisierung etwa hat das Musikschaffen durchgeschüttelt.» So gibt es in der 24. Festival-Ausgabe Ende März ein Podium zu «Algorithmen». Die Forderung der Szene nach einer «Lex Spotify» mit besseren Abgeltungen aus den Streams kommentiert Schnyder nüchtern. «Anders als bei der ‹Lex Netflix›, die auf dem Filmgesetz basiert, fehlt eine gesetzliche Grundlage für eine ‹Lex Spotify›», erklärt er und räumt eine «gewisse Ratlosigkeit» bezüglich des Themas ein.
Persönlich sei er froh, dass er seine liebsten Songs heute auf dem Smartphone habe. «Mir ist aber bewusst, dass diese Tonqualität schlecht ist im Vergleich zu einer Platte, die ich auf der Anlage abspiele», sagt er dann und verrät seine Liebe zu Vinyl. Womit er bei seinen Ursprüngen als Reggae-Musiker angelangt ist. «Ich bedauere, dass wir unser zweites Ganglords-Album damals aus Geldmangel nicht auf Vinyl pressen konnten, und überlege mir, dies nachzuholen.» Schnyder ist bis heute auch als Produzent aktiv und betreut etwa den Zürcher Reggaemusiker Phenomden. Selbst zum E-Bass greife er nur noch, wenn er am TV Fussball schaue. «Dazu kann ich wunderbar Fingerübungen machen», lacht er. Zuweilen reize es ihn schon, wieder künstlerisch kreativ zu sein. Aber sein Beruf ermögliche ihm, seine verschiedenen Seelen und Fähigkeiten zu verbinden. «So gesehen habe ich meinen Wunschtraum verwirklicht: Ich kann von Musik leben.»
m4music
Fr/Sa, 25.3./26.3., Exil, Moods, Schiffbau Zürich
www.m4music.ch
Philipp Schnyders Kulturtipps
Buch
Tobi Müller: Play, Pause, Repeat (Hanser 2021)
«Endlich beachtet: Wie Technik und Geräte die Popmusik und uns selbst prägen.»
Serie
After Live: Von und mit Ricky Gervais (Netflix)
«Tränen! Tränen! Zuerst vor Lachen, dann vor Rührung. Eine gute Dosis Menschlichkeit und sogar etwas Bürostimmung für daheim.»
Musik
Evelinn Trouble Longing Fever (Mouthwatering Records 2021)
«Die am meisten unterschätzte einheimische Popsängerin ist mit dem preisgekrönten Album auf Tour und spielt am m4music-Festival ein Carte-Blanche-Konzert mit dem Evelinn Trouble Orchestra.»
Sa, 26.3, 20.45 Schiffbau Zürich