Der Volksmund kennt schier unzählige Ross-Weisheiten. «Ein Pferd ohne Reiter ist immer noch ein Pferd, aber ein Reiter ohne Pferd ist bloss noch ein Mensch.» Dieses Tier hat nicht nur die Volksweisheit animiert, sondern ebenso die Maler und Zeichner, wie der neue Bildband «Pferde in der Kunst» belegt.
Das Ross gehört zu den am meisten gemalten und gestalteten Tieren. Seit 35 000 Jahren notabene; aus jener Zeit stammt ein fünf Zentimeter langes Pferdchen aus Mammutzahn, das in der Nähe von Ulm gefunden wurde. Ins gleiche Zeitkapitel gehören die gezeichneten Pferde der Lascaux-Höhle in der französischen Dordogne, die das seit jeher symbiotische Verhältnis zwischen diesem Tier und den Europäern dokumentieren. Seit jenen Tagen lesen sich die Pferdedarstellungen wie eine Sozial- und Kulturgeschichte. Viele dieser Bilder sagen mehr über die Menschen aus als über die Tiere.
Alberto Giacometti: «Das Pferd», 1951
In jenem Jahr konnte Giacometti seine dünnen Figuren erstmals in der Pariser Galerie Maeght zeigen. Die Ausstellung war ein grossartiger Erfolg. Der Künstler wurde mit lukrativen Aufträgen überhäuft. Aber nicht alles lief rund: Während eines Besuchs in Südfrankreich überwarf er sich mit Pablo Picasso; die langjährige Freundschaft der beiden ging in Brüche.
Henri de Toulouse-Lautrec: «Der Jockey», 1899
Kraftvoll und aggressiv wirken die zwei Jockeys auf der Pariser Rennbahn von Longchamp aus dem Jahr 1899. Toulouse-Lautrec (1864– 1901) beschäftigte sich zu jener Zeit seit langem mit dem Motiv. Wahrscheinlich zeichnete er vor Ort Skizzen und setzte diese in seinem Atelier in verschiedenen Techniken um. Der Künstler steckte damals in einer Krise: Nachdem er wegen seiner Alkoholsucht in ein Delirium tremens fiel, schickte ihn seine Mutter in einen Entzug nach Neuilly, wo er allerdings keine Heilung fand. Er verstarb kurze Zeit später jung.
Fernando Botero: «Mann auf dem Pferd», 1998
Der 85-jährige kolumbianische Maler und Bildhauer gilt als der Meister der Rundlichkeit, der seinen Werken eine eigenständige Ästhetik zuordnet. «Ich gebe allem Volumen: einem Tier, einem Mann, einem Pferd, einer Landschaft, was es auch sei. Grosszügigkeit und Üppigkeit stehen für mich in enger Verbindung mit der Sinnlichkeit», sagte Fernando Botero dem «Art Magazine». Ein Kunstverständnis, das immer wieder zu Kontroversen Anlass gibt. Dieses Bild lässt sich entfernt als Sozialkritik interpretieren, indem der Mann als ein wohlhabender Unterdrücker erscheint – als «ein degenerierter Kolonialbourgeois», wie es im Buchtext heisst. Tatsächlich hat sich Botero in den letzten Jahrzehnten zusehends politisiert und ist als Kritiker der Vereinigten Staaten aufgetreten, insbesondere deren Nahostpolitik.
Paulus Potter: «Das gescheckte Pferd», 1653
Der niederländische Barockmaler Paulus Potter (1625–1654) ist heute weniger bekannt, stand aber zu Lebzeiten in hohem Ansehen. Er machte aus seiner Malerei ein profitables Geschäft. Potter versuchte mit seinen Gemälden, mehr zu bieten als nur eine Abbildung: Die Werke sollten eine kleine Geschichte erzählen oder dem Betrachter ein Rätsel aufnötigen. Bei diesem Schimmel stellt sich die Frage, was mit dem unbewachten Pferd in dem aufziehenden Unwetter geschehen wird.
Buch
Margrit Bernard, Martin Richenhagen (Hrsg.)
Pferde in der Kunst.
Horses in Art
240 Seiten
(Wienand 2017).