kulturtipp: Ihnen werden schier unendlich viele Attribute zugeordnet. Der englische «Guardian» schreibt etwa von einem «Mystiker», die deutsche «Zeit» von einem «sturen Bock», die NZZ von «Sinnlichkeit».
Peter Zumthor: Ich bin froh, wenn die Texte über mich im weitesten Sinn der Wahrheit nahekommen. Darum führe ich Interviews am liebsten in meinem Atelier in Haldenstein, wo die Besucher ja sehen, dass mich meine Mitarbeiter nicht als «sturen Bock» empfinden. Aber ich bin auch kein heiliger Mystiker, der in einer Alphütte haust und von Brot und Wasser lebt. Ich weiss wirklich nicht, warum ich mit Klischees eingedeckt werde.
Vielleicht geht das auf Ihre Bauherren zurück?
Im Gegenteil, meine Bauherren zeichnen ein sehr differenziertes Bild von meiner Arbeitsweise. Natürlich gibt es hin und wieder Diskussionen, das gehört dazu. Aber immer mit grossem Respekt, sodass wir am Schluss freundschaftlich miteinander verbunden sind. Zudem halte ich mich an Regeln, wenn der Bauherr vier Zimmer will, sage ich nicht, du brauchst nur drei. Architektur ist letztendlich ein dienender Beruf.
Sie haben in der SRF-«Sternstunde» gesagt, was mit dem Bauherrn herauskommt, ist etwas Drittes, nämlich die Verbindung zwischen dessen Wünschen und Ihrer Vorstellung, diese umzusetzen.
Richtig, so ist es; darauf beruht gegenseitiger Respekt. Wer eine Vorstellung hat und diese einfach umsetzen will, versäumt etwas. Man verpasst dabei, Neues zu lernen, das geschieht nur in einem Prozess, der lange dauern kann. Das weiss jeder Handwerker, und das muss auch in der Architektur so sein.
Die meisten Architekten haben gar nicht die Möglichkeit, gegenüber ihrem Bauherrn so selbstbewusst aufzutreten wie Sie, sonst haben sie den Auftrag nicht mehr.
Ich bin da ein gutes Beispiel, dass dem nicht so ist.
Dem Zumthor fährt man nicht einfach in die Parade.
Ich war einmal jung, als ich die ersten Wettbewerbe gewonnen habe. Da kannte man mich nur in internen Kreisen. Diesen schwierigen Weg muss man gehen, das heisst auch manchmal, weniger verdienen. Da muss man Geduld haben und etwas für den Erfolg tun. Nichts wird einem geschenkt.
Sie fahren durch die Schweiz von St. Gallen nach Genf. Welche Gedanken gehen Ihnen da durch den Kopf?
Die Schweiz ist in Eigentumsparzellen aufgeteilt. Wer baut, muss sich an Grenzabstände halten, dazu braucht es eine Erschliessung für Wasser, Strom und Fahrzeuge. Dann kann man mehr oder weniger bauen, wie man will – höher, niedriger oder sonst was. Wer gute Beziehungen hat, kann auch 20 Geschosse in diese Höhe bauen, ohne der Bevölkerung einen Mehrwert zu bieten. So läuft das politisch ab, entsprechend sieht die Schweiz aus.
Nämlich?
Zum einen ist es fantasielos. Aber gravierender ist, dass kein öffentlicher Raum entsteht. Da müssten die Gemeinden eingreifen, aber das lässt der Liberalismus nicht zu. Das Grundeigentum ist sakrosankt, da darf niemand dreinreden. Hier müsste die Demokratie dazulernen, um Öffentlichkeit herstellen zu können in der Form von grosszügigen Plätzen oder schönen Strassen. Es gibt zwar immer wieder Ansätze, aber die Parzellenüberbauungen dominieren. Das ist sehr schade.
Im Urbanen ist dieser Missstand weniger verbreitet als im ländlichen und kleinstädtischen Bereich.
Das ist richtig. Die grösseren Städte legen fachlich und intellektuell mehr Wert auf die Gestaltung ihrer öffentlichen Räume. Da gibt es Stadt- oder Kantonsbaumeister, die intervenieren; auch die Denkmalpflege kann ein Wort mitreden. Das ist für uns Architekten zwar lästig. Aber wir müssen unser Erbe bewahren, alte Gebäude sind unser kulturelles Gedächtnis, und damit haben wir zu arbeiten. Nur das bringt uns weiter.
Dem stehen die politischen Gegebenheiten entgegen.
Eine ETH-Studie hat ja kürzlich festgehalten, dass wir in der Schweiz planerisch in grösseren Zusammenhängen denken müssen. Nicht jede Gemeinde braucht alles. Zum Beispiel sollte man in den Alpen einmal grössere Zonen ausscheiden, wo ohne raumplanerische Vision keine Subventionen mehr nach dem Giesskannenprinzip hinfliessen. Dieser Vorschlag ist zwar ganz schlecht angekommen, ist aber im Prinzip richtig. Wir müssen die Schweiz neu denken lernen, sonst überbauen wir einfach alles.
Und jetzt, was raten Sie?
Die Demokratie braucht einen Reifungsprozess. Der normale Bürger kennt den Begriff «öffentlicher Raum» zwar nicht, aber jeder erlebt ihn oder eben nicht.
Heimat und Schollenverbundenheit haben ja nichts mit Architektur zu tun. Wer in einer Betonwüste aufgewachsen ist, fühlt sich dort geborgen.
Das ist so, weil jeder in einem Haus aufgewachsen ist, in einem schönen oder einem hässlichen. Eine schreckliche Umgebung kann Heimat sein, wenn man sich dort verankert fühlt. Gott sei Dank.
Wo verorten Sie Ihre Heimat? In Ihren Werken?
Ich hänge an Landschaften, also etwa am Leymental bei Basel, wo ich herkomme. Ich liebe den Himmel oder die Wälder, in denen ich spazieren gehe; das Beyeler Museum in Riehen gehört auch dazu. Heimat ist vielfältig, selbst ein Maiensäss im frühen Herbst kann mich zu Tränen rühren. Dann ist natürlich meine Familie in diesem Gefühl eingeschlossen, und erst am Schluss kommen die Häuser.
Peter Zumthor
Der 1943 in Basel geborene Peter Zumthor lernte Schreiner und Gestalter an der Basler Kunstgewerbeschule. Dann studierte er Architektur am Pratt Institute in New York. Seit 1978 betreibt er ein Architekturbüro in Haldenstein GR.
Kunsthaus Bregenz
Das Kunsthaus Bregenz feiert sein 20-jähriges Bestehen mit der Ausstellung «Dear to Me» zu Ehren von Peter Zumthor. Im Mittelpunkt der Schau steht das dritte Obergeschoss mit einer Garteninstallation von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger.
Dear to Me
Bis So, 7.1.
Kunsthaus Bregenz (A)