Sauen stehen ihren Töchtern bei der Geburt als Hebammen zur Seite. Krähen rodeln aus purem Spass über Dächer. Hirsche trauern um verlorene Kitze, und Rabenpaare bleiben sich ein Leben lang treu. Für Peter Wohlleben ist klar: Die Gefühle von Tieren sind den unseren in Vielfalt und Tiefe ähnlicher, als wir vermuten.
Zu diesem Schluss kam der Förster durch Erfahrungen und Begegnungen mit Tieren. Schon als Kind wollte er Naturschützer werden und brütete mit Hilfe eines warmen Schals erfolgreich ein Hühnerei aus. Heute führt er einen ökologischen Forstbetrieb in der deutschen Eifel.
Lustige und rührende Tiergeschichten
Moderne Forschungsergebnisse untermauern seine Beobachtungen: Menschen und Tiere verfügen über mehr oder weniger gleiche Gefühls- und Denkstrukturen. So empfinden wir Emotionen wie Freude, Trauer, Angst oder Lust dank des limbischen Systems, einer evolutionär alten Funktionseinheit des Gehirns, die auch Säugetiere, Fische und Vögel aufweisen. «Die Hardware für Gefühle ist bei allen Wirbeltieren vorhanden. Doch fühlen sie damit tatsächlich Ähnliches wie wir?» Dieser Frage widmet sich Wohlleben in seinem neuen Buch «Das Seelenleben der Tiere» mit Einfühlungsvermögen und Humor.
Seine Geschichten aus dem Tierreich sind so lustig wie rührend – etwa, wenn die junge Stute Bridgi sich vor der älteren für ihre Albernheit schämt oder der Bär im Budapester Zoo mit einer vom Ertrinken bedrohten Krähe mitfühlt und sie – ganz vorsichtig – aus dem See rettet.
Das Gefühlsleben von Tieren erzeugt Widerstand. Hartnäckig hält sich der Glaube, dass nur der Mensch Emotionen bewusst erleben kann. Tieren werden dagegen «höchstens» unbewusste Instinkte zugesprochen. Wohlleben leuchtet das nicht ein: Erstens handle der Mensch oft ebenfalls instinktiv, das Bewusstsein liefere erst Sekunden später die Erklärung. Zweitens sei der Auslöser für Gefühle – ob bewusst oder unbewusst – nicht entscheidend für deren Qualität. Ob ein Tier instinktiv oder bewusst trauert, spielt für das Erleben der Emotion keine Rolle. «Es klingt vermessen zu sagen, dass ein Schwein fühlt wie wir. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass eine Verletzung weniger schlimme Gefühle in ihm auslöst, tendiert gegen null.»
Protest kommt vor allem aus der konventionellen Land- und Forstwirtschaft. Das überrascht kaum: Wenn Tiere nicht länger als gefühlstaube «Bioroboter» gelten, sondern als intelligente und uns ähnlich fühlende Wesen, müsste man die Haltungsmethoden in den Massenställen und das Töten von Tieren infrage stellen. Wohlleben plädiert dafür, auf «Nummer sicher» zu gehen und unsere Mitgeschöpfe nicht zu quälen – auch wenn deren Gefühle nicht bis ins Letzte erforscht sind. Schliesslich sind «viele Emotionen und andere geistige Prozesse selbst beim Menschen bis heute nicht eindeutig definierbar». Ein Buch, das Lust macht, die Tiere in unserem Alltag mehr zu beobachten, deren Verhalten und uns selbst ein wenig besser zu verstehen.
Peter Wohlleben
«Das Seelenleben der Tiere»
240 Seiten
(Ludwig Verlag 2016).