kulturtipp: Massimo Cavalletti, Sie haben 2013 den Ford aus Verdis «Falstaff» in Zürich gesungen. In Mailand und in Salzburg sind sie ebenfalls in dieser Rolle zu hören. Haben unterschiedliche Opernhäuser Einfluss auf Ihren Gesang?
Massimo Cavalletti: Die Mailänder Scala ist riesig. Man muss dort die Stimme anders einsetzen als in Zürich oder im «Haus für Mozart» in Salzburg, auch wenn ich die Rolle genau gleich interpretiere. In Salzburg und Zürich kann ich mehr mit den Farben spielen, in der Scala braucht es primär mal eine Stimmmasse.
Sie gehen aus der Garderobe und wissen: Heute mache ich es so?
Ich weiss jeweils sehr genau, wo ich singe, jedes Haus verlangt etwas Eigenes. Ich habe die Rolle für die Scala neu einstudiert und mache das auch für Salzburg.
Sie arbeiten mit drei unterschiedlichen Orchestern. Gerade bei «Falstaff», wo in einer Minute im Orchester 100 Dinge passieren, ist das unheimlich tückisch.
Enorm! Aber ich habe keine Angst, denn die Wiener Philharmoniker haben eine stark italienische Seele. Letztes Jahr spürte ich das bei «Bohème»; die Wiener spielten Puccinis Musik sensationell.
Sind die Erwartungen des Publikums in Zürich, Mailand und Salzburg die gleichen?
Die Mailänder erwarten bei Verdi einen Bariton mit einer ganz bestimmten Stimmfarbe, mit einem bestimmten Gesangsstil. In Salzburg sieht man das weniger eng. Dafür erwartet man nicht nur einen grossen Sänger, sondern einen grossen Künstler, der schauspielern kann.
Merkt ein Sänger, dass in Salzburg die Welt zuschaut?
Und wie! Es ist eine unglaubliche Chance, hier zu singen. Nachdem ich letztes Jahr in Salzburg aufgetreten war, ergaben sich 2000 neue Kontakte. Die ganze Welt sah diese «Bohème» – live vor Ort, im Kino, auf DVD … Es ist die grösste Chance für einen Sänger, sich der Welt zu präsentieren.
Sie sangen 2012 nicht nur den Marcello, sondern sprangen noch kurzfristig als Escamillo ein – aber erst nach der Pause.
Und wissen Sie was? Dieser halbe Escamillo verschaffte mir ein Engagement an der Metropolitan Opera in New York für die Saison 2014/2015! Ich war damals gerade beim Abendessen, als mich Alexander Pereira anrief und sagte, dass er ein grosses Problem habe und mich für Escamillo brauche. Man muss als Sänger immer bereit sein. Der Salzburger Sommer 2012 war unglaublich für meine Karriere.
Sie verdanken Pereira viel.
Ich will nicht übertreiben, aber er ist für mich eine Vaterfigur. Er baute meine Karriere auf, gab mir Jahr für Jahr die richtigen Rollen. Pereira ist wie ein Operndirektor von einst: Er kommt zu den Proben, er weiss und bestimmt, wer singt, er kennt das Repertoire – und er ist sehr menschlich.
In der «Bohème» waren aller Augen und Ohren auf Anna Netrebko gerichtet. Keine leichte Aufgabe.
Gar nicht … Aber immer wenn ich mit diesen berühmten, grossartigen Leuten singe, lerne ich viel, das ist fantastisch. Und Anna ist eine wunderbar warme und grosszügige Frau, eine aussergewöhnliche Kollegin, auf und hinter der Bühne.
Es fällt auf, dass Sie zwar an den ersten Häusern, dort aber bloss wenige Rollen singen – kam der Erfolg zu schnell?
Mozart fehlt im Repertoire komplett.
Das ist mein Kreuz, ich schaffe es nicht, einen Mozart-Vertrag zu erhalten. Die grossen Theater hören meine grosse Stimme und der Fall ist klar: Verdi! Ich versuche mich trotz Angeboten mit vielen Verdi-Rollen noch zurückzuhalten, singe nach wie vor auch Donizetti und anderes. Aber die Stimme zieht zu Verdi.
Rodrigo in «Don Carlo», eine der grössten italienischen Bariton-Rollen, wartet auf Sie im Oktober an der Scala. Keine Angst?
Doch, ich habe Angst, aber eine positive: Ich weiss, dass es gehen wird. Klar, wenn das Publikum kommt und die Legenden Piero Cappuccilli oder Ettore Bastianini im Ohr hat, wird es schwierig. Aber meine Stimme funktioniert in der Scala, und das ist nicht bei allen so.
Ist dieses Scala-Publikum unter Sängern ein Thema? Kommen Kollegen zu Ihnen und fragen: Du, sind die wirklich so böse?
Das Publikum ist unter Sängern ein grosses Thema, und jenes der Scala besonders: Es ist gefährlich, aber interessant. Ein lyrischer Sänger muss seine Rollen gut auswählen. Der Charme eines Sängers macht viel aus. Es ist wichtig, dass auch der Sänger das Scala-Publikum respektiert.
Massimo Cavalletti
Der Bariton Massimo Cavalletti (*1978) begann sein Studium in seiner Heimatstadt Lucca. In Mailand absolvierte er Kurse bei Leyla Gencer und Leo Nucci. Sein Bühnendebüt gab er 2004 in Bergamo. Schon 2005 sang er an der Mailänder Scala, alsbald auf der ganzen Welt, oft auch in Zürich. 2010 debütierte er in New York, 2012 bei den Salzburger Festspielen.
DVD
Puccini, La Boheme,
u.a. Netrebko
Salzburger Festspiele
(DG 2012).
Verdi, Falstaff, u.a. Maestri
Opernhaus Zürich (Unitel 2012).
Verdi, Simone Boccanegra,
u.a. Domingo
Mailänder Scala
(Arthaus 2012).
Aufführungen
Falstaff, Salzburger Festspiele
Mo, 29.7.; Mi, 31.7.; Sa, 3.8.; So, 4.8.; Di, 6.8.; Mi, 7.8.
Don Carlo, Mailand
Sa, 12.10.; Mi, 16.10.; Sa, 19.10.; Mi, 23.10.; Sa, 26.10.; Di, 29.10.
TV Salzburger Festspiele 2013
Haydn – Die Jahreszeiten:
So, 28.7., 20.15 3sat
Wagner – Die Meistersinger von Nürnberg:
Fr, 2.8., 20.15 3sat, live zeitversetzt aus dem Grossen Festspielhaus Verdi – Falstaff:
Sa, 3.8., 19.00 3sat
Mendelssohn-Bartholdy – Ein Sommernachtstraum:
Sa, 3.8., 21.30 3sat, Szenische Aufführung (Bolton; Mason)
Radio
Walter Braunfels – Jeanne d’Arc: Sa, 3.8., 19.30 Ö 1