«I mir inne hocket es nöigierigs Tier, und das Tier het Hunger, vüu, vüu Hunger, es wott mit Buechstabe gfueteret wärde.» Das sagt nicht etwa der Vielleser und -schreiber Pedro Lenz, sondern seine Figur Charly im neuen Mundart-Roman «Primitivo». Viel von Charly steckt auch in seinem Schöpfer: Pedro Lenz ist wie Charly als Sohn einer spanischen Mutter im oberaargauischen Langenthal geboren und hat eine Maurerlehre gemacht. Vor allem habe er sich beim Schreiben aber an die Gefühle erinnert, die ihn als 17-Jährigen umtrieben, erzählt Lenz im Gespräch über Videotelefon aus seinem Wohnort Olten. «In der Art, wie Charly in der Erwachsenenwelt landet, ist das Buch recht autobiografisch.» Mit einem Lachen fügt er hinzu: «Charly gebe ich allerdings noch etwas mehr von der Coolness mit, die ich damals gerne gehabt hätte.»
Auch für die zweite Hauptfigur, den älteren spanischen Bauarbeiter Primitivo, hat er sich von der Vergangenheit inspirieren lassen. José hiess Lenz’ damaliger Mentor auf dem Bau, der ihm viel von seiner Lebenserfahrung sowie seiner Liebe für die spanische Literatur mitgegeben hat und bei einem tragischen Unfall gestorben ist. «Er hat die Aussenwelt in meine kleine Oberaargauer Welt gebracht», erinnert sich der Berner Poet. Nach sieben Jahren auf dem Bau hat Lenz die Matura nachgeholt und einige Semester spanische Literatur studiert, bis er selbst mit Schreiben begonnen hat.
Die Milieus, die er in seinen Büchern beschreibt, kennt er selbst. Und dennoch lassen sich daraus auch allgemeingültige Geschichten über die Menschen ableiten, und mancher Leser erkennt sich selbst. So wie der ältere Mann in Glasgow, wo Lenz einst die schottische Übersetzung seines Bestsellers «Der Goalie bin ig» präsentierte: «Er war überzeugt, dass ich von seinen eigenen Leuten erzählt habe. Dass die Geschichte in Langenthal spielt, liess er nicht gelten», erzählt Lenz schmunzelnd.
In Corona-Zeiten muss der Autor freilich auf solche spontanen Leserreaktionen verzichten. «Es ist bitter, dass ich meinen neuen Roman nun selten vor Publikum vorstellen kann», sagt er. «Aber ich möchte mich auch nicht zu fest aufhalten mit etwas, das ich nicht ändern kann.» Stattdessen hat er umso mehr Zeit für seine Buben Nicanor (3) und Salvador (5 Monate), die ihn auf Trab halten. «An einem längeren Roman zu arbeiten, wäre momentan nicht möglich.» Was er sich aber in ferner Zukunft durchaus vorstellen kann, ist ein Roman in seiner Muttersprache Spanisch oder sogar auf Hochdeutsch. Allerdings müsste er dann länger an einem Ort sein, wo er «von dieser Sprache imprägniert» ist. Denn seine Figuren sollen in der Sprachmelodie erklingen, die man auf der Strasse hört – und so sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
Buch
Pedro Lenz
Primitivo
184 Seiten
(Cosmos 2020)
Lesetour: www.pedrolenz.ch
Pedro Lenz’ Kulturtipps
Buch
John Dos Passos: USA-Trilogie (Rowohlt 2020)
«Ein Klassiker der US-amerikanischen Moderne in einer Neuausgabe, übersetzt von Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl. Fantastischer Lesestoff für lange Nächte.»
DVD
Samir: Bagdad In My Shadow (Dschoint Ventschr 2019)
«Ein Spielfilm über irakische Migranten in London und darüber, wie ihre Vergangenheit ihre Gegenwart tangiert. Tief menschlich, spannend und berührend.»
CD
Willie Nelson: First Rose Of Spring (Legacy Records 2020)
«Das 70. Studioalbum des unermüdlichen Songwriters ist der passende melancholische, aber immer hoffnungsvolle Soundtrack für dieses Seuchenjahr.»