Paul Harding Karussell der Erinnerung
Die Welt eines Sterbenden beschreibt der US-Autor Paul Harding in seinem Roman «Tinkers». Mit seinem Debütwerk erhielt er 2010 den Pulitzerpreis.
Inhalt
Kulturtipp 26/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Renata Schmid
«Acht Tage bevor er starb, begann George Washington Crosby zu halluzinieren. Vom Krankenhausbett aus, das gemietet und in der Mitte des Wohnzimmers stand, sah der Todkranke Risse im Verputz der Zimmerdecke, und Insekten krabbelten dort ein und aus …» Damit beginnt die Geschichte des amerikanischen Autors Paul Harding – und sie wird auch dort enden: Auf dem Sterbebett des alten Uhrmachers George Washington Crosby nämlich. In Gedanken begegnet der an Parkins...
«Acht Tage bevor er starb, begann George Washington Crosby zu halluzinieren. Vom Krankenhausbett aus, das gemietet und in der Mitte des Wohnzimmers stand, sah der Todkranke Risse im Verputz der Zimmerdecke, und Insekten krabbelten dort ein und aus …» Damit beginnt die Geschichte des amerikanischen Autors Paul Harding – und sie wird auch dort enden: Auf dem Sterbebett des alten Uhrmachers George Washington Crosby nämlich. In Gedanken begegnet der an Parkinson und Krebs leidende Mann in den letzten Tagen seines Lebens seinem Vater, einem Kesselflicker (Tinker), der unter epileptischen Anfällen litt. So stark, dass seine Frau ihn in eine Irrenanstalt einweisen will. Der Sterbende erinnert sich aber auch an seinen Grossvater, der mit zunehmendem Alter an geistiger Umnachtung zu leiden scheint. Immer wieder kehrt der Protagonist aus seinen Reisen in die Welt der Erinnerungen in sein Krankenzimmer zurück, bemerkt Familie und Freunde, die sich um ihn sorgen – und taucht dann gleich wieder ab zu anderen Pforten der Wahrnehmung, zu wachen Erinnerungen ans Leben. Doch er begegnet nicht nur Toten, er unternimmt auch fantastische Reisen in die Natur.
Mit poetischer Sprache beschreibt der 1967 in Wenham, Massachusetts, geborene Autor Paul Harding diese letzten Stunden eines Lebenden. Still, berührend und facettenreich führt er in die Welt eines Sterbenden und erzählt zugleich von dessen Leben. Faszinierend ist dabei, dass es dem Autor mit diesen Szenenwechseln gelingt, den Zustand, das Schweben zwischen Leben und Tod, wahrnehmbar zu machen.
Paul Harding, der aus einfachen Verhältnissen stammt, studierte erst englische Philologie und war dann lange Zeit als Schlagzeuger einer Rockband unterwegs, bevor er seinen Master in Creative Writing absolvierte. In seinem Debütroman hat er einen Teil seiner Familiengeschichte verarbeitet. «Als Legende», so Paul Harding, habe er verwertet, was er an wenigen Fakten aus der Geschichte seiner eigenen Familie wusste: Sein Grossvater war Uhrmacher, sein Vater Epileptiker. Und: Ein traumatisches Leben hätten sie alle beide gehabt.
[Buch]
Paul Harding
Tinkers
Aus dem Englischen
von Silvia Morawetz
192 Seiten
(Luchterhand 2011).
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