Die Liebe ist soeben vollzogen, das nackte Paar erholt sich. Eine schwarze Bedienstete, ebenfalls fast hüllenlos, bringt ein alkoholisches Getränk zur Entspannung. «L’après-midi à Naples» («Nachmittag in Neapel») heisst diese Skizze von Paul Cézanne aus der Zeit 1870/1872. Die ersten Vorstudien dazu zeichnete er früher; vier Jahre nach der Skizze setzte er dieses knisternde Arrangement in einem Ölbild um.
Das Basler Kunstmuseum zeigt die kolorierte Zeichnung in der neuen Ausstellung «Der verborgene Cézanne – Vom Skizzenbuch zur Leinwand». Mit 154 Blättern besitzt das Haus die weltweit grösste Zeichnungssammlung des Künstlers; viele von ihnen stammen aus aufgelösten Skizzenbüchern. Diese Œuvres dienen als Ausgangspunkt seines künstlerischen Prozesses. Sie erlauben dem Besucher einen verspäteten Blick über die Schulter von Cézanne (1839–1906), um seine Arbeitsweise kennenzulernen. Laut dem Ausstellungstext waren die Skizzen nie für die Öffentlichkeit gedacht. Sie dienten dem Künstler vielmehr dazu, laufend neue Zugänge zu einem Motiv zu ergründen. In seinen Aquarellen hat Cézanne die Beziehung von Linie und Farbe weiterentwickelt: «So ist die Zeichnung oftmals nicht einfach Vorzeichnung.» Cézanne überarbeitete einzelne Blätter nach dem Aquarellieren mit Grafit, um Linie und Farbe in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. 53 Leihgaben sind zu sehen; diese Gemälde und Aquarelle ergänzen den Bestand des Kunstmuseums.
Menschenscheu und lebensängstlich
Die 1870er waren für Paul Cézanne besonders bedrückend. Das heisst etwas bei einem, der sich mit dem Leben im Allgemeinen und den Menschen im Besonderen stets schwertat. Der von seiner Malerei Besessene entzog sich in jener Zeit der Einberufung, um nicht als Soldat im deutsch-französischen Krieg dienen zu müssen. Zwar wurde er von einem Nationalisten als Fahnenflüchtiger denunziert, vermochte sich aber dem Zugriff der Behörden zu entziehen.
Etwa zur gleichen Zeit war seine Lebensgefährtin Hortense Fiquet mit ihrem Sohn, ebenfalls einem Paul, schwanger. Cézanne musste die Liaison vor seinen Eltern geheim halten, um die bescheidene finanzielle Unterstützung seines steinreichen, aber autoritären Vaters nicht zu verlieren. Dieser wünschte sich für Cézanne eine standesgemässe Verbindung, ganz abgesehen von einer verordneten Bankkarriere, für die der Künstler wenig geeignet war.
Cézanne, wiewohl im Umgang schwierig, gilt als der wegweisende Erneuerer der Kunst im 19. Jahrhundert. Sein für die damalige Zeit avantgardistischer Ansatz kam allerdings auf dem Markt lange schlecht an. Dennoch war er im Frühjahr 1874 bei einer der ersten grossen Ausstellungen der Impressionisten im Atelier des legendären Fotografen Nadar am Boulevard des Capucines dabei – zusammen mit Künstlern wie Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet oder Edgar Degas. Die Presse verriss die Ausstellung. Die Zeit war nicht reif für diese Entwicklung, dennoch verkaufte Cézanne als einer der wenigen Künstler ein Werk. Das linderte indes seine materiellen Nöte nicht, zumal sein Vater ein paar Jahre später von der Verbindung mit Hortense sowie dem gemeinsamen Sohn erfuhr und die monatliche Unterstützung halbierte.
Ruhm und Geld in späten Jahren
Das materielle Glück war Cézanne erst in den späteren Lebensjahren hold: Er erbte das väterliche Vermögen und verdiente Geld mit seiner Kunst, die unter Sammlern endlich breite Anerkennung fand. Trotzdem litt der Maler unter fürchterlichen Depressionen, zumal er sich im Lauf seines Lebens mit seiner Eigenwilligkeit zahlreiche Feinde gemacht hatte. Doch Cézanne dachte nicht daran, von seinem Weg abzukommen; die Kunstwelt profitiert bis heute davon.
Otto Freundlich
Als Kontrast zu Cézanne stellt das Basler Kunstmuseum den deutschen Maler und Kommunisten Otto Freundlich (1878–1943) vor. Der in Pommern geborene Künstler war eine Generation jünger als der Franzose, verbrachte aber ebenfalls einen grossen Teil seines Lebens in Frankreich. So lebte er vor dem Ersten Weltkrieg mit Pablo Picasso und Georges Braque etliche Jahre in Montmartre, wo er zu seiner konstruktivistischen, von Symbolen besetzten Ausdrucksweise fand. Nach dem Krieg war er Mitglied des linken Berliner Arbeitsrats mit Künstlern wie Käthe Kollwitz oder Emil Nolde: «Kunst und Volk müssen zu einer Einheit finden», lautete die Devise.
In den 20ern zog Freundlich zurück nach Paris; er konnte in jenen Jahren an zahlreichen Ausstellungen mitmachen. Neben der Malerei verfasste er zahlreiche, weltanschaulich geprägte Texte wie etwa 1935 die «Bekenntnisse eines revolutionären Malers». Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde der Deutsche in Frankreich als Ausländer interniert. Zwar konnte Picasso seine Freilassung erreichen, aber die Ausreise mit seiner Lebensgefährtin und der Künstlerin Hannah Kosnick-Kloss in die USA gelang ihm nicht. Die Nazis deportierten ihn ins KZ Lublin-Majdanek, wo er 1943 ermordet wurde.
Otto Freundlich – Kosmischer Kommunismus
Sa, 10.6.–So, 10.9.
Kunstmuseum Basel
www.kunstmuseumbasel.ch
Der verborgene Cézanne – Vom Skizzenbuch zur Leinwand
Sa, 10.6.–So, 24.9.
Kunstmuseum Basel
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