«Passion Bild. Russische Kunst seit 1970» Mit Kunst und Kreativität in den Auf bruch
Das Kunstmuseum Bern führt den Besucher in die Geheimnisse der russischen Kunst der letzten 40 Jahre ein. Unter dem Titel «Passion Bild» sind 200 Werke von 49 Künstlern zu sehen.
Inhalt
Kulturtipp 24/2011
Letzte Aktualisierung:
11.03.2013
Rolf Hürzeler
Ein weisser Würfel in ruhiger See; ein rotes Quadrat in einem Sturm: Der russische Künstler Pavel Pepperstein vergleicht mit diesen beiden Werken den gesellschaftlichen Gegensatz zwischen West und Ost. Der Westen ist mit einem stabilen Monolith vergleichbar, auch wenn sich darüber eine bedrohliche Wolke zusammenzieht. Der Osten muss sich dagegen in einem Sturmtief behaupten. Das war die Weltsicht des Künstlers, als er sie vor sechs Jahren malte.
Leitfi...
Ein weisser Würfel in ruhiger See; ein rotes Quadrat in einem Sturm: Der russische Künstler Pavel Pepperstein vergleicht mit diesen beiden Werken den gesellschaftlichen Gegensatz zwischen West und Ost. Der Westen ist mit einem stabilen Monolith vergleichbar, auch wenn sich darüber eine bedrohliche Wolke zusammenzieht. Der Osten muss sich dagegen in einem Sturmtief behaupten. Das war die Weltsicht des Künstlers, als er sie vor sechs Jahren malte.
Leitfigur Pepperstein
Der 45-Jährige ist eine Leitfigur der jüngeren Moskauer Kunstszene. Und er ist einer der wenigen russischen Künstler, die in der Schweiz schon mehrfach präsent waren. Er war vor rund zehn Jahren mehrmals im Kunsthaus Zug prominent vertreten.
Die Gemälde «Weisser Würfel der Macht» (Bild oben links) und «Rotes Quadrat im Meer» (Bild oben rechts) gehören zur einzigartigen Sammlung der Zürcher Kunstexpertin und Kulturmanagerin Arina Kowner. Sie sammelt seit Ende der 1980er-Jahre russische Gegenwartskunst. Die frühere Leiterin des Migros-Kulturprozents kennt Pepperstein und sein künstlerisches Umfeld seit Beginn der frühen 90er, als sie ihn im Studio 50 A getroffen hatte. Das Studio war der Mittelpunkt einer Gruppe nonkonformistischer Künstler, die dort arbeitete und zeitweise auch lebte, unterstützt von einem Sammler.
Juristin Kowner ist die Tochter eines russischen Emigranten und in Zürich aufgewachsen. Sie hat sich in den letzten Jahren intensiv mit ihren russischen Wurzeln beschäftigt. Heute führt sie in Zürich das Kulturatelier «Okno – Fenster zur russischen Kultur», das auf die Vermittlung zwischen Ost und West spezialisiert ist. Die 200 Werke, die im Kunstmuseum Bern zu sehen sind, stammen alle aus ihrer Sammlung.
Laut Kowner ist das russische Kunstschaffen seit sowjetischer Zeit in eine Sankt Petersburger und eine Moskauer Szene geteilt. Die inoffiziellen Petersburger Künstler nutzten die Distanz zum Machtzentrum der Hauptstadt für eine oftmals kühne künstlerische Freiheit, um mit Ironie und Parodien gesellschaftliche Missstände zu entlarven. Die Petersburger Künstler mussten jedoch – im Gegensatz zu den Moskauern – auf eine nähere Auseinandersetzung mit der westlichen Kunst verzichten.
Stalin als Kater
Die russische Kunst der letzten 30 Jahre ist oft politisch, auch wenn sich die weltanschauliche Symbolik aus westlicher Sicht nicht auf den ersten Blick erschliesst. So ist das seltsam anmutende Katzenbild mit Fliegenschlips (Bild Seite 6 unten rechts) von Vladislav Mamyshev (Künstlername: Monroe) eine Anspielung auf Diktator Stalin, den «Grossen Kater» im Volksmund. Oder so erinnert das Ölgemälde «Rot und Gelb» (Bild Seite 6 unten links) des 74-jährigen Viktor Pivovarov mit Tomate und Zitrone auf einer Suppenkachel an Gemeinschaftsküchen sowjetischer Zeiten.
Wie hat sich das künstlerische Leben Russlands seit der politischen Wende entwickelt? In der sowjetischen Zeit galten nichtkonforme Künstler als gesellschaftliche Parasiten; sie waren keine Mitglieder der staatlichen Künstlervereinigung. Laut Arina Kowner hatten sie es schwer, ein materielles Auskommen zu finden, und mussten Jobs aller Art annehmen, etwa als Heizer von Wohn- oder Geschäftsblöcken. Diese Tätigkeit beanspruchte wenig Zeit und erlaubte ihnen, ihre Werke in warmen Räumlichkeiten inoffiziell zu zeigen. Auch Pinsel, Farbe oder Leinwand waren Mangelware, deshalb wichen die Russen oft auf improvisierte Techniken und auf Materialien wie Papier, Holz oder Stoff aus.
Wer der sowjetischen Kunstideologie widersprach und den sozialistischen Realismus ablehnte, musste vor der Perestroika mit Kerker oder noch Schlimmerem rechnen. Nach der Wende orientierten sich die russischen Künstler vermehrt am Westen. Sie nutzten die neuen Freiheiten für ihre künstlerischen und gesellschaftspolitischen Aussagen und setzten neben traditionellen Techniken auf die neuen Medien.
Und wie steht es heute mit
der künstlerischen Freiheit? Arina Kowner ist vorsichtig mit ihrer Einschätzung: Es komme immer noch zu Interventionen, wenn auch kaum offen vonseiten staatlicher Stellen, sondern eher aus nationalistisch-religiösen Kreisen. «Allerdings», sagt Kowner, «gibt es auch bei uns im Westen immer wieder Kunstskandale.» Man denke nur an den Wirbel um die Parodie des gesellschaftskritischen Künstlers Thomas Hirschhorn auf Christoph Blocher im Pariser Centre Culturel Suisse vor ein paar Jahren.