«Mein Vater ging auf seine Art in die Berge: Er war weniger ein Mann der Meditation als ein Dickkopf und Draufgänger.» Mit diesen Worten beginnt das Buch des 39-jährigen Mailänder Schriftstellers Paolo Cognetti. Der Erzähler ist das Alter Ego Pietro des Autors. Er hat seinen Vater als Junge oft in die Berge begleitet und gelernt: «Die Welt des Vaters begann dort, wo die Berge rau und unwirtlich wurden, in Gletschermulden oder Geröllfeldern, wo nur noch ‹Steinmänner und Farbmarkierungen› den Weg wiesen.»
Berge als Inbegriff der Freiheit
Klar wird bei der Lektüre bald: Hier schreibt einer, der sich mit der Natur, den Menschen und mit der Sprache auseinandergesetzt hat. Mit klaren und genauen Schilderungen führt Cognetti seine Figuren ein und positioniert sie präzis an jenen Stellen, wo sie hingehören, wo die Umgebung ihrem Wesen entspricht.
20 Sommer lang verbrachte der 39-jährige Autor in jungen Jahren in den Bergen. Aufgewachsen in Mailand, in einem Viertel, wo es nicht möglich war, im Hof oder auf der Strasse zu spielen, waren die Berge der Inbegriff der Freiheit. «Ich hatte früh gelernt, mich im Gebirge zu bewegen – anfänglich etwas unbeholfen und später mit grosser Selbstverständlichkeit. So wie andere Kinder das Schwimmen lernen, wenn ein Erwachsener sie ins Wasser wirft», schreibt Cognetti in seinem Hüttenbuch «Fontane No. 1» (siehe Box).
Mit acht Jahren schon war er auf Gletschern unterwegs, mit neun lernte er klettern, und als er 16 war, zog er alleine los und fühlte sich auf Gebirgspfaden deutlich wohler als auf den Strassen seiner Heimatstadt. Der neue Roman «Acht Berge» enthält viel Autobiografisches. So leben auch die Eltern des Protagonisten Pietro in Mailand: der Vater Mathematiker, die Mutter ausgebildete Krankenschwester, die als Sozialarbeiterin arbeitet. Die beiden haben sich in jungen Jahren im heimatlichen Veneto kennengelernt. Damals gehörte Pietros Mutter noch zu den Gipfelstürmerinnen und «eroberte» den sportlich ehrgeizigen Mann auf gemeinsamen Touren ins Hochgebirge.
Eine Freundschaft fürs Leben
Ob für kurze Wochenendausflüge oder Ferien, die Berge bleiben zentral im Leben von Pietros Familie. 1984, da ist der Junge elf, gehts zum ersten Mal einen ganzen Sommer lang ins Aostatal ins kleine Bergdorf Grana. 14 Menschen lebten damals noch dort, darunter Bruno, das einzige Kind in der Gemeinschaft. Schnell freunden sich die beiden Gleichaltrigen an.
«Mit Bruno in die Berge zu gehen, hatte nichts mit dem Erstürmen von Gipfeln zu tun.» Die Buben erkunden vielmehr die Gegend. Auf der Suche nach Abenteuern stossen sie auf verlassene Häuser, alte Ställe, Heuschober oder Speicher. Erlebnisse, welche die beiden zusammenschweissen.
Etwas Wehmut schwingt mit
«Acht Berge» folgt dem Leben der Freunde drei Jahrzehnte lang. Während Bruno sein Heimatdorf nie verlässt, zieht es Pietro als Dokumentarfilmer in die Welt hinaus, um allerdings immer wieder zurückzukehren in die geliebten Berge. Beide Männer hadern im Laufe der Jahre mit ihrem gewählten Weg, lassen einander aber die Freiheit ihres Denkens und Handelns. Ihre Freundschaft kommt ohne viele Worte aus. «An die Stelle des Gesprächs tritt etwas anderes, was sie verbindet, was die Freundschaft überhaupt erst ermöglicht: die Berge», erklärt Cognetti in einem Interview.
Der Autor sieht sich hier in der Tradition von Jack London, Mark Twain oder Ernest Hemingway und ihren Naturbeschreibungen. Letztere dienen dem Italiener aber nicht nur als Hintergrund für die Handlung. Sie erzählen auch etwas über seine Protagonisten, wenn diese schweigen. «Die Berge werden zum Spiegel ihrer Gefühle», so der Autor. Dabei wird eines spürbar, Cognettis Achtung vor der Natur: «Sie kann sehr schön sein, aber auch schwer zu ertragen.» Freiheit, Unabhängigkeit, aber auch Einsamkeit und Unberechenbarkeit gehen gemeinsam einher: Paolo Cognettis Buch liest sich leicht wie ein Abenteuerroman, macht etwas wehmütig und weckt die Lust auf Berge. Renata Schmid
Buch: Paolo Cognetti
«Acht Berge»
256 Seiten
Aus dem Italienischen von Christiane Burkardt (DVA 2017).
Rückzug in die Berge
1978 in Mailand geboren, studierte Paolo Cognetti erst Mathematik, besuchte dann die Filmhochschule in Mailand und produzierte danach Dokumentarfilme. 2004 zog er sich zum Schreiben ins Aostatal zurück und veröffentlichte sein erstes Buch. Es folgten Erzählbände, ein Roman und etliche Reiseberichte über New York – seiner zweiten grossen Leidenschaft neben den Bergen. Wer mehr über den Autor und sein Leben in der Natur erfahren möchte, dem sei nebst seinem neusten Roman «Acht Berge» das soeben erschienene 144-seitige Büchlein «Fontane No. 1» empfohlen. Darin setzt sich Cognetti mit seiner Flucht in die Berge auf der Suche nach sich selbst auseinander. Es ist 2013 unter dem italienischen Titel «Il ragazzo selvatico» erschienen und jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erhältlich.
Über das Leben in den Bergen schreibt der Autor auch auf seinem Blog (italienisch): paolocognetti.blogspot.com
Paolo Cognetti
«Fontane No. 1»
Aus dem Italienischen von Barbara Sauser (Rotpunktverlag 2017).