In den frühen 1970er-Jahren war Luzern ein Zentrum für die zeitgenössische Kunst in der Schweiz. Das hatte mit Jean-Christophe Ammann zu tun, der von 1968 bis 1971 als Kurator des Kunstmuseums Luzern das Publikum mit Konzeptkunst und performativen Aktionen bekannt machte, die das traditionelle Kunstverständnis hinterfragten.
Stählis Humordienst
Damals war auch Pablo Stähli regelmässig im Kunstmuseum Luzern anzutreffen. Er war mit seiner Kamera unterwegs, kannte die Protagonisten und die Szene. Sein Name steht auch auf dem Katalog der Ausstellung «Visualisierte Denkprozesse», die 1970 weit über Luzern hinaus Aufmerksamkeit erregte. Sie hatte eine ähnliche Ausstrahlung wie die 1969 in der Kunsthalle Bern von Harald Szeeman kuratierte Ausstellung «Live In Your Head: When Attitudes become Form».
Wie Szeeman ging es Ammann darum, das aktuelle Klima der damaligen Kunstszene wiederzugeben und den Wandel des Kunstbegriffs zu thematisieren. An der Ausstellung «Visualisierte Denkprozesse» waren Künstler wie Markus Raetz, Urs Lüthi, Aldo Walker, Balthasar Burkhard, Dieter Meier oder Luciano Castelli beteiligt. Aber auch Pablo Stähli war vertreten – mit der Neonleuchtschrift «Stählis Humordienst». Sie machte auf eine Aktion aufmerksam, in der witzige Ideen und Einfälle per Post verschickt wurden und die ausserhalb des Museums ihre Kreise zog.
Für Stählis experimentierfreudige Ader steht auch die Aktion «Die ersten hundert Tage der Siebziger Jahre», die der Ausstellung in Kriens nun den Namen gibt. Es war eine konzeptuelle Arbeit, in der Balthasar Burkhard, Markus Raetz und Pablo Stähli jeden Tag auf Postkarten oder andern Materialien etwas zeichneten, mitteilten oder anderweitig festhielten. Diese stempelten und verschickten sie einander. Ursprünglich als Beitrag für «Visuelle Denkprozesse» geplant, versandete die Aktion nach rund 30 Tagen.
Akteur und Beobachter
Ein klares künstlerisches Profil hatte Pablo Stähli damals nicht. «Erst als Galerist und Verleger fand er ab 1972 seine definitive Rolle», sagt Hilar Stadler, Leiter Museum Bellpark, der die aktuelle Ausstellung konzipiert hat. Gute Spuren hinterlassen hat Stähli auch mit seinen Fotos. Er fotografierte Künstler und ihre Milieus. So begleitete er Jean-Christophe Ammann als Fotograf nach Italien, wo dieser bei zeitgenössischen Kunstschaffenden für seine zweite Auflage von «Visualisierte Denkprozesse» recherchierte.
«Stähli war ein Akteur in der Szene, aber auch ein Beobachter», sagt Stadler. «Er war involviert in die Ausstellungsvorbereitungen von Jean-Christophe Ammann und hat die Szene dokumentiert. Das macht ihn für uns interessant.» Dem Museum Bellpark ist es gelungen, erstmals Fotos, Dokumente und Korrespondenzen aus Stählis Privatarchiv aufzubereiten, die so noch nie zu sehen waren. Die rund 200 Exponate verweisen auf die Aktivitäten und die Atmosphäre der sich formierenden Szene und decken die relevanten Ereignisse jener Jahre ab. Kunstgeschichtlich ist dieses Material laut Stadler von einem wichtigen Dokumentationswert.
International vernetzt
Mit der Eröffnung einer Galerie in Luzern im Jahr 1972 schlug Pablo Stähli ein neues Kapitel seines Wirkens auf. Er förderte Künstler wie Markus Raetz, Aldo Walker, Urs Lüthi, André Thomkins, Dieter Roth oder David Weiss. Stähli wurde auch als Grafiker und Verleger aktiv und publizierte in Zusammenarbeit mit den Künstlern zahlreiche Künstlerbücher und Editionen. 1975 verlegte er die Ausstellungstätigkeit an die Kreuzstrasse in Zürich. 1978 zügelte er die Galerie definitiv in den Zürcher Bahnhof Enge, wo er unter anderem 1981 die Ausstellung «Plötzlich diese Übersicht» von Fischli/Weiss realisierte.
Zur Ausstellung im Museum Bellpark erscheint eine Publikation, die über das Medium der Postkarte die nationale und internationale Vernetzung von Stähli erkennbar werden lässt. Die Postkarten bildeten lange vor der Facebook-Zeit Netzwerke von Kunstschaffenden und Interessenten, die per Bild und Wort und mit viel Humor miteinander in Verbindung standen. «Genau dieses Kommunikationsereignis ist das eigentliche ‹Kunstwerk› von Pablo Stähli», sagt Hilar Stadler.
Ab Ende der 80er richtete sich der Fokus von Pablo Stähli zunehmend auf sein neues Wirkungsgebiet in Brasilien aus. 2004 liess er sich definitiv in Recife nieder, wo er sich unter anderem für die Realisierung von Schulprojekten engagierte. Für die Ausstellung kommt der heute 70-jährige Stähli nach Kriens. Er wird über die Kunstszene der 1970er-Jahre einiges zu erzählen haben.
Buch
Postkarten an P.S.
Herausgegeben von Hilar Stadler und Ralf Keller
120 Seiten mit 200 Abbildungen
(Museum im Bellpark Kriens, 2015).
Ausstellung
«Die ersten hundert Tage der Siebziger Jahre»
Sa, 25.4.–So, 5.7.
Museum im Bellpark Kriens LU
Künstlergespräch
Mit Pablo Stähli und Dora Imhof
So, 3.5., 11.30
Museum im Bellpark Kriens LU