Die Bürger der norditalienischen Stadt Brescia hielten sich für besonders schlau. Sie lagerten 780 Zentner Schiesspulver in der Kirche San Nazaro e Celso in der festen Überzeugung, dass der Herrgott keinen Blitz in ein geweihtes Haus jagen würde. Tat er aber doch in der Nacht vom 18. August 1769 – mit den unschönen Folgen, die man sich denken kann. Hätten die Italiener doch nur vom US-Amerikaner Benjamin Franklin gehört. Dieser erklärte mehr als zehn Jahre vor der Katastrophe von Brescia seinen Mitbürgern den Blitz als ein Naturphänomen und liess Blitzableiter auf öffentlichen Gebäuden in Pennsylvania errichten.
Das ist eine Episode aus dem neuen Buch «Das Wetterexperiment – Von Himmelsbeobachtern und den Pionieren der Meteorologie» des englischen Wissenschaftsautors Peter Moore. Anhand von umfangreichen Recherchen zeichnet er nach, wie sich das Wetter von einem unerklärlichen Schicksal für die Menschheit zu einem Gegenstand der Naturwissenschaft entwickelte.
Einheitliche Messskala
Im Mittelpunkt dieser Entwicklung standen Männer wie Franklin oder der Engländer Francis Beaufort, der die Winde mit einer einheitlichen Messskala zu erfassen suchte, die bis heute seinen Namen trägt. Vor allem machte sich aber der heute weniger bekannte Brite Robert FitzRoy (1805–1865) um die wissenschaftliche Erfassung von Wetterphänomenen verdient, um zuverlässige Prognosen für Schifffahrt und Landwirtschaft zu erstellen.
Daten durch Netzwerke
Marineoffizier FitzRoy war Kapitän des Forschungsschiffs Beagle, auf dem der junge Charles Darwin seine Erkenntnisse über die Entwicklung des menschlichen Lebens gewann, und segelte über die Weltmeere. Obschon selbst ein Mann der Wissenschaft, liess sich FitzRoy indes nicht von Darwins Erkenntnissen beeindrucken, denn sie widersprachen seinen religiösen Überzeugungen. So blieb er beispielsweise bis zu seinem Tod bei der Gewissheit, dass die Dinosaurier nur ausstarben, weil sie zu gross waren, um die Arche Noah zu besteigen. Der zur Schwermut neigende FitzRoy setzte seinem Leben übrigens selbst ein Ende, weil ihn der Spott der «Times» quälte, als sich seine Prognosen oftmals als falsch erwiesen.
Das Leben ist ungerecht. Denn Robert FitzRoy erkannte in der ersten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts richtig, dass nur eine möglichst grosse meteorologische Datenmenge den Wetterverlauf prognostizieren konnte. Dazu setzte er auf ein optisches Telegrafensystem, damit Wetterbeobachter ihre Messungen übertragen konnten: «Die Meteorologie neuen Typs war eine Angelegenheit von Netzwerken», konstatiert Autor Peter Moore und zitiert den zeitgenössischen Intellektuellen John Ruskin: «Lasst den Hirten in den Alpen die Veränderung der Bergwinde beobachten; lasst den Reisenden uns Nachrichten vom Wandel der Oberfläche des Meeres senden …»
Zweifel und Irrtümer
FitzRoy war ein mutiger Kerl. Er erreichte mit seiner Beagle im Frühjahr 1829, auf einer Reise ohne Darwin, Kap Hoorn an der Südspitze Lateinamerikas: «An dieser Stelle krachten die Wogen des Atlantischen und des Pazifischen Ozeans mit unglaublicher Wucht ineinander. Bei Kap Hoorn tobten Westwinde, die von keiner Landmasse aufgehalten wurden …» FitzRoy liess sich nicht beirren und nahm unermüdlich Wettermessungen vor mit Thermometer, Hygrometer, Regenmesser und einer Reihe von Barometern. Dazu musste er stets die Navigation in dieser kartografisch schlecht erfassten Gegend im Griff haben.
Wie alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, stiess die Meteorologie zuerst auf Skepsis, und zwar bis weit ins 19. Jahrhundert hinein: «Als 1854 ein Abgeordneter im Unterhaus die Ansicht vertrat, schon bald könnte es möglich sein, einen ganzen Tag im Voraus zu wissen, wie das Wetter in London werde, brachen die Parlamentarier in schallendes Gelächter aus», schreibt Peter Moore.
Zum Teil waren die Vorbehalte verständlich, weil die Wetterpioniere immer wieder Irrtümern unterlagen. So behauptete der US-amerikanische Meteorologe und Altphilologe James P. Espy (1785–1860), er könnte Regen künstlich erzeugen, was ihm wenig Applaus eintrug. Der Mann hatte dennoch seine Meriten, weil er zum Verständnis der Luftzirkulation beitrug.
Heftiger Hurrikan
Trotz Skepsis blieben die Wetterpioniere ihrer Wissenschaft treu, auch wenn sie sich wie in solchen Fällen zum Teil heftig anfeindeten. Doch die schiere Not der Seeleute rief nach zuverlässigen Daten. So brachten die Wirbelstürme in der Karibik die Beobachter stets ins Zittern, wie der zeitgenössische Chronist John Poyer 1780 über einen Hurrikan schrieb: «Die Heftigkeit war ohne Parallele in der gesamten Weltgeschichte. Kokospalmen sind wie Streichhölzer geknickt und das Vieh wurde durch die Luft gewirbelt.» Da leuchtete jedem ein, dass eine Prognose solcher Ereignisse nützlich wäre.
Peter Moore hat ein umfassendes Werk geschrieben. Die Fülle seiner Recherchen mit zahlreichen Namen von Forschern macht die Lektüre indes streckenweise etwas sperrig. Aber der Lese-Aufwand lohnt sich – man sieht dem nächsten Regentag mit ganz anderen Augen entgegen.
Buch
Peter Moore
«Das Wetterexperiment»
560 Seiten
(Mare 2016).