Hier muss der Meister entlang spaziert sein: Der Weg vom Schloss Chillon nach Montreux führt direkt dem Genfersee entlang. Das Farbenspiel der Wolken und Wellen wechselt im Minutentakt. Der Österreicher Oskar Kokoschka hat hier im Jahr 1923 eine der schönsten Ecken der Schweiz entdeckt. Bis heute lässt sich vorstellen, wie der Künstler mit seiner Staffelei, mit Farben-Palette, Pinsel und Leinwand an diesem Seeufer seinen Arbeitsplatz gefunden hatte. Er musste schnell am Gemälde «Genfersee II» arbeiten, denn es zeigt ein aufziehendes Gewitter; vielleicht vollendete er das Werk im Atelier. Jedenfalls war Kokoschka von der Gegend fasziniert. Er sollte Jahre später den Lac Léman als sein Lebenszentrum wählen, auch wenn er bis ins hohe Alter als Weltbürger umherreiste. Kokoschka (1886–1980) war der Reihe nach österreichischer, tschechischer, britischer und wieder österreichischer Staatsbürger.
Das «Genfersee»-Bild ist in der neuen Retrospektive des Zürcher Kunsthauses zu sehen. Die Ausstellung zeigt 250 Exponate des Malers, der seine Kunst stets politisch verstanden haben wollte. Die Schau vermittelt einen Eindruck seiner gesamten Arbeiten: Da ist die frühe Federzeichnung «Mörder, Hoffnung der Frauen», die 1910 im Berliner «Sturm» zu sehen war, der damals avantgardistischen «Wochenschrift für Kultur und Künste». Von dieser filigranen Darstellung führte ihn ein weiter künstlerischer Weg hin zu den kühnen Entwürfen wie etwa dem Triptychon «Die Prometheus Saga» von 1950, das ebenfalls im Kunsthaus zu sehen ist.
Auch Kokoschkas ausdrucksstarke Porträts sind vertreten: Sie geben nicht nur einen äusserlichen Eindruck der Modelle. Sie berichten vielmehr von deren Persönlichkeit, von deren charakterlichem Eindruck, den sie auf den Künstler und damit auf die Betrachter der Bilder bis heute machen.
Amour fou mit Gustav Mahlers Witwe
Kokoschka gehört zur Generation derjenigen Künstler, die der Erste Weltkrieg prägte. Für ihn war der Nationalismus das Grundübel der Menschen, auch wenn er freiwillig in der österreichischen Armee diente. Der Zürcher Ausstellungstext erinnert an seinen späteren Besuch des Friedenskongresses in Brüssel von 1936, wo er sich – entgegen dem aufgeladenen Zeitgeist – für eine weltoffene Erziehung einsetzte: «Die Elementarschule als eine Vorbereitung auf das Erwachsenenleben (…) darf keinesfalls eine Institution sein, wo nationale Ideologie, Kriegsmythos und ‹heroische Selbstaufgabe› gelehrt werden.» Das waren die beschwörenden Worte eines Mannes, dessen Habitus keinen Widerspruch duldete. Kokoschka war eine ebenso dominante wie feinfühlige Persönlichkeit.
Er wuchs in einer bürgerlichen Wiener Familie auf und erkannte seine Begabung früh. Bereits mit 24 Jahren hatte er in Berlin in der Galerie des renommierten Kunsthändlers Paul Cassirer seine erste Ausstellung. In diese Zeit fiel seine Amour fou mit der sieben Jahre älteren Alma Mahler, der Witwe des Musikers Gustav Mahler. Dieses nur kurz dauernde Verhältnis sollte Kokoschkas weiteren Werdegang bestimmen, allerdings nicht im Sinn einer erfüllten Beziehung: Die beiden fanden – trotz heftiger Gefühlseruptionen – nicht dauerhaft zueinander. Schon nach drei Jahren kam es auf ihren Wunsch zur Trennung, Kokoschka meldete sich aus Verzweiflung als Kriegsfreiwilliger an die Ostfront und wurde zwei Mal schwer verwundet; er verlor seinen Gleichgewichtssinn nach einem Kopfschuss. Zuletzt kam er als Kriegsmaler in den italienischen Alpen zum Einsatz.
Noch vor dem Kriegsende erhielt Kokoschka mit einer Dozentenstelle in Dresden eine Position als anerkannter Künstler im deutschen Gesellschaftsleben. Doch erneut kamen ihm die politischen Verwerfungen in die Quere. Er flüchtete nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zuerst nach Prag, wo er seine spätere Frau Olda Palkovská kennenlernte. Als sich die Besetzung der Tschechoslowakei abzeichnete, zog das Paar nach England, wo es in Cornwall vorerst Ruhe fand. Nach dem Krieg hatte Kokoschka Ausstellungen in Zürich und Basel. 1953 kam er schliesslich ins schweizerische Villeneuve, wo er bis zu seinem Lebensende blieb.
Bekenntnis zur gegenständlichen Malerei
Die neue Zürcher Schau unterstreicht Kokoschkas Bekenntnis zur gegenständlichen Malerei. Er stand der Abstraktion lange Zeit skeptisch gegenüber. Die Ausstellungsmacher beziehen sich mit ihrer Darstellung von Kokoschkas Werk auf Worte von Stefan Zweig aus dem Jahr 1918 über eine damalige Schau des jungen Malers: «Darum ist diese Ausstellung denkwürdig. Zum ersten Mal wurde hier die Wiener Malerei als eine wachsende, lebendige, organische und fruchtbare Einheit dem Ausland gezeigt…»
Oskar Kokoschka
Fr, 14.12.–So, 10.3.
Kunsthaus Zürich