kulturtipp: Herr Homoki, «Langsam, Wozzeck, langsam! Eins nach dem andern!» heisst es zu Beginn von Alban Bergs «Wozzeck»: Wie oft hörten Sie in den letzten drei Jahren: «Langsam, Homoki, langsam! Eins nach dem andern!»
Andreas Homoki: Eigentlich nie. Auch wenn man einen Paradigmenwechsel von uns erwartete, wir haben hier nichts überstürzt, denn wir hatten einen langen Vorlauf. So hatte ich die schweizerische Bedächtigkeit, das Streben nach Konsens schon verinnerlicht, bevor wir hier im Herbst 2012 richtig begannen. Ich wusste, dass der forsche Deutsche schlecht ankommt. Aber ich bin ja auch nicht urdeutsch, sondern eine Promenadenmischung.
Aber erwies es sich nicht als schwierig, an neue Leute, an ein neues Publikum, heranzukommen?
Eigentlich nicht. Das Opernhaus wird von einem kulturaffinen Kreis stark wahrgenommen – und hat dort grosse Bedeutung. Das Stammpublikum ist unglaublich nah dran am Opernhaus. Viele sind gleichzeitig Aktionäre und Mitglieder der Opern- oder Ballettfreunde, die genau beobachten, was wir tun. An der Komischen Oper Berlin hatte ich zuerst die ganz andere Situation, dass ein Teil des potenziellen Publikums unsere Arbeit gar nicht registriert hat. Das musste man erst etwas aufbrechen, laut rufen: «Hallo, wir sind anders, als ihr denkt, kommt mal!» Wir hauten auf die Pauke. Das käme hier nicht gut.
Wie charakterisieren Sie das, was Sie hier in den drei Jahren auf der Zürcher Opernhausbühne gemacht haben?
Mein Ideal ist ein Musiktheater, in dem Gesang, szenische Darstellung, Musik und Bühne so zusammengehen, dass sie sich in ein Gesamterlebnis verwandeln. Was wir sehen und hören, muss auf fast magische Weise mehr sein als die Summe dieser Einzelelemente – möglichst an jedem Abend.
Haben Sie dieses Ziel erreicht?
Sicher nicht jeden Abend.
Haben die Zürcher den Wechsel von Alexander Pereira zu Ihnen akzeptiert?
Es gab von Anfang an eine grosse positive Neugier. Ich habe das Gefühl, dass eine grosse Mehrheit sofort verstanden hat, worum es uns ging. Sicher gab es Skeptiker, die sagten, das wird scheitern, und sich fast geärgert haben, dass der Laden mit den Neuen so gut lief. Solche Leute scheinen mir zunehmend in der Defensive.
Welche Erwartung haben die Zürcher Opernfreunde an Ihr Haus?
Die Erwartungen sind sehr unterschiedlich: Manche interessieren sich für bestimmte Sänger, andere für die italienische oder deutsche Oper, wiederum andere für bestimmte Stücke oder Regien.
Steht das Ihrem Programm entgegen, über dem doch eine klare Idee steht?
Ich freue mich, wenn Sie das so wahrnehmen. Tatsächlich erfolgt eine künstlerische Planung oft pragmatisch. Zunächst muss es um stilistische Vielfalt gehen. Typische Fragen lauten: Welche Stücke sind länger nicht gelaufen? Was brauchen wir im Kernrepertoire dringend neu? Dann orientieren wir uns an einzelnen Künstlern. Welches Projekt könnte diesen oder jenen Regisseur reizen? Oder ein bestimmter Sänger hat Lust auf einen ungewöhnlichen Titel, passt der in unsere Planung? Gibt es Raritäten, die wir ausgraben sollten? Welcher Dirigent passt? Ganz wichtig: Produzieren wir genug Titel, die wir häufig genug im Repertoire spielen können? Schliesslich erzielen wir fast die Hälfte unserer Einnahmen mit Wiederaufnahmen.
Sie machen mein Lob zunichte. Tatsache ist doch, dass Zürich kein Gemischtwarenladen mehr ist wie einst bei Pereira: Es hat eine Linie und eine Vision. Das ist doch ein Risiko!
Wenn Sie das Vision nennen, schmeichelt mir das: Ich nenne es seriöses Arbeiten. Aber etwas Kunst machen wir schon auch.
Zurzeit läuft «Wozzeck» unter Ihrer Regie: Wie viel ist am Regieführen eigentlich Handwerk?
Bei aller Fantasie ist es eine Fleissarbeit, die viel Genauigkeit verlangt.
Kann denn das Regie-Handwerk die Kunst, die Fantasie, behindern?
Das soll sie sogar, denn die Fantasie eines Regisseurs ist mir ziemlich wurscht, wenn sie nichts mehr mit dem Stück zu tun hat. Es gilt, diese Fantasie so zu lenken, dass sie das Stück nicht stört. Als Regisseur muss ich das Stück genau lesen, der Musik zuhören, und hoffen, dass meine Fantasie richtig darauf reagiert. Dann versuche ich, die Geschichte auf meine Weise zu erzählen. Aber ein Stück leistet auch Widerstand, was sehr produktiv sein kann. Wer allerdings nicht genug Handwerk hat, wird an diesem Widerstand scheitern, und die interessanteste Interpretation bricht in sich zusammen. Weil die Einzelsituationen unglaubwürdig sind, schreit das Publikum dann zu recht – blödes Regietheater!
Wozzeck
Di, 6.10., 19.30 Opernhaus Zürich
Andreas Homoki
Der Intendant des Opernhauses wurde 1960 im Ruhrgebiet geboren. Seine internationale Karriere begann 1992 mit seiner Inszenierung von Richard Strauss’ «Die Frau ohne Schatten» in Genf. 2002 wurde er als Nachfolger von Harry Kupfer Chefregisseur der Komischen Oper Berlin und war seit 2003 auch deren Intendant. 2012 löste er Alexander Pereira als Intendant im Opernhaus Zürich ab. Diese Saison begann mit Alban Bergs «Wozzeck», Regie führt der Hausherr. Im Juni inszeniert er «I Puritani».