Eben schnell mal Zigaretten holen. Sagt Odysseus. Und dann kommt er 20 Jahre lang nicht mehr zurück. Nicola Raab braucht keinen Trojanischen Krieg, keine Irrfahrten mit Zyklopen und Sirenen. Sie wolle eine Geschichte von heute erzählen, sagt die deutsche Regisseurin: «Familie, Beziehungen, Einsamkeit oder Verlustängste sind Themen, die uns heute genauso bewegen.» Ithaka ist bei ihr folgerichtig keine Insel im Ionischen Meer, sondern eine Quartier-Bar.
Ganz ohne Homer allerdings geht es dann doch nicht: An einem der Tischchen sitzt einer, der zwischen den Schnapsgläsern an Versen werkelt und die Geschichte von der Treue der Penelope und ihrem Warten auf Odysseus erzählt. So treten sie – durch die Klotüren – dann auf: Penelope, die tapfer ausharrt, bedrängt von Urilas, in den Homers aufsässige Schar der Freier kondensiert wurde. Aber weil die Barockoper Götter, Geister, Zauberer und Ungeheuer liebte, ist in derselben Bar im Glitzerkleid auch die Zauberin Circe gestrandet.
Die ehemalige Geliebte will Odysseus zurückgewinnen, verzaubert ihn mit einem magischen Schwert, beschwört Höllengeister herauf und sät Zwietracht zwischen ihm und Penelope. Es braucht beherzte Freunde und am Ende den Gott Merkur himself, um das Happy End herbeizuzwingen.
Ausgegraben und aufgefrischt
Das Happy End ist hier Pflicht, denn Reinhard Keiser, der zusammen mit seinem Freund Telemann am Hamburger Theater am Gänsemarkt die deutschsprachige Oper zu einer Hochblüte führte, musste sich für dieses Stück gewissen Konventionen beugen. Er schrieb es 1722 für das Hoftheater in Kopenhagen als Huldigung für das dänische Königspaar, dessen eheliche Treue mit dieser Geschichte gepriesen werden sollte.
Das wird im Prolog gefeiert und im Finale noch einmal bekräftigt. Zu wenig interessant aber für unsere Zeit, findet der Dirigent Clemens Flick, und er hat beherzt Hand angelegt an diese Partitur. Der 45-Jährige hat unter anderem als Assistent von René Jacobs diese barocken Klangwelten intensiv erforscht, und er hat Keisers «Ulysses»-Oper 2022 für eine Aufführung im Rokoko-Theater Schwetzingen ausgegraben und musikalisch kräftig aufgepeppt. Das ist auch deswegen nötig, weil grosse Teile der Oper verloren gegangen sind.
Vor der Uraufführung erkrankte die Sängerin der Penelope. Die Primadonna, die man aus Italien als Ersatz holte, brachte ihre eigenen Arien mit, sogenannte «KofferArien» – Paradenummern, mit denen Solisten gerne ihre ganz besonderen Qualitäten ins Feld führten und die ganz selbstverständlich in die Aufführungen integriert wurden.
Mit psychologischer Finesse
So erklangen in der eigentlich komplett deutschsprachigen «Ulysses»-Oper von Keiser vier italienische Arien. Schlimmer aber: Die originalen Stücke sind verloren gegangen. Bekannt ist nur der Text. Kein Problem für Clemens Flick.
Er ersetzte sie durch passende Arbeiten aus dem immensen Œuvre dieses überaus fleissigen Barockkomponisten und strich zudem das ganze HuldigungsBrimborium weg, um eine schlüssige dramatische Theaterhandlung zu erhalten. Obwohl Keisers Opern praktisch vergessen sind, haben sie eine hohe musikalische Qualität, betont Flick: «Wir finden eine enorme Bandbreite: Da gibt es hoch virtuose Koloraturen, aber auch folkloristische und tänzerische, sogar richtig derbe Musik.
Und Besonderheiten wie Penelopes letzte Arie, die fast schon wie ein romantisches Schubert-Lied klingt.» Unterstützung erhält diese Aussage aus berufenem Mund: Johann Mattheson, der bedeutendste Musiktheoretiker Deutschlands, fand für Reinhard Keiser die schmeichelhafte Formel: «Der grösste OpernComponist von der Welt.»
Widersprochen wurde dem auch nach der Schwetzinger Aufführung nicht, die nun in einem teilweise neu besetzten Ensemble auch am koproduzierenden Theater Biel Solothurn zu sehen sein wird: Farbig und abwechslungsreich sei die Musik, schrieb die Presse, kurzweilig und lebendig die Inszenierung, von der Regisseurin klug erzählt, mit psychologischer Finesse und durchaus einem guten Schuss Situationskomik angereichert.
Ulysses
Premiere Theater Solothurn:
Fr, 22.3., 19.30
Premiere Theater Biel:
Fr, 12.4., 19.30