kulturtipp: Saimir Pirgu, Sie sind 43 Jahre alt. Was heisst das für einen Tenor?
Saimir Pirgu: Es ist die ideale Zeit für einen Tenor, zu zeigen, was er in der Vergangenheit gemacht hat. Die stimmliche Entwicklung ist erfolgt, er hat Erfahrungen gesammelt. Jetzt kann und soll er in der grossen Opernwelt beweisen, was er kann. Das verlangt aber, dass er gesund ist und auf eine gute Technik aufbaut.
Sie waren ein Frühstarter, singen schon mehr als 20 Jahre!
Für gewöhnlich beginnt ein Tenor mit 30, so richtig zu singen. Bei mir war es früher, aber die besten Rollen kamen eigentlich ab 30. Früher trat ich in Mozart- und Donizetti-Partien auf, die störten die Entwicklung nicht. Im Gegenteil, das war wie im Studium.
Ein Studium an weltberühmten Häusern mit weltberühmten Dirigenten … Ist das kein Risiko?
Doch, da haben Sie schon recht, aber es war dennoch ein Lernen. Claudio Abbado und Luciano Pavarotti hatten Angst, dass ich zu jung sei, sagten mir dauernd: «Sing nur, was du kannst, forciere nicht.» Wenn man in dieser Phase nichts Dummes macht, dann kommt man weiter.
Davon profitieren Sie jetzt. Sind Sie in der glücklichen Lage, dass Sie immer sagen können: Ich möchte jetzt diese, dann jene Rolle singen?
Ich habe immer einen Zehnjahresplan im Kopf, den ich zu erfüllen versuche. In dieser Zeit beschäftige ich mich mit den Rollen, die ich für dieses Jahrzehnt ausgewählt habe – auch wenn die Theaterpläne nicht immer mit meinen übereinstimmen. Es gibt viele Faktoren, die ich berücksichtigen muss. Wenn aber ein Tenor 80 Prozent der Aufführungen gut oder sehr gut singt und die Verträge einhält, dann wird ein Theater auch in Zukunft gerne mit ihm zusammenarbeiten.
Gibt es Rollen, die Sie Jahre im Voraus planen, aber noch nicht zu singen wagen?
Ja, Giordanos «Andrea Chénier» ist so eine Rolle. Die andere ist «Lohengrin», für die es sogar ein Angebot gab. Aber man muss Zeit haben, um diese Wagner-Rolle einzustudieren, vor allem auch wegen der deutschen Sprache. Bei «Lohengrin» müsste für mich alles passen: die Regie, die Kollegen, der Dirigent.
Angenommen, Sie wollen in drei bis fünf Jahren «Lohengrin» singen. Wie gehen Sie vor?
Wir testen das Terrain mit den Castingdirektoren, meiner Agentur und vielleicht einem tollen Theater. Als ich das erste Mal mit Christian Thielemann gesungen habe, war von «Lohengrin» die Rede. Er hat mir gesagt, dass ich die perfekte Stimme für die Rolle hätte. Es wäre ein Traum, diese Rolle zu singen, und noch mehr, mit Thielemann zusammenzuarbeiten. Wenn es jemals so weit kommt, werde ich mich mindestens sechs Monate auf die Rolle konzentrieren müssen.
Einige Ihrer Kollegen scheiterten an diesem Fachwechsel, bei Ihnen habe ich keine Angst. Sie haben diese Kraft, das neue Album beweist es. Was ist das Problematische an dieser Rolle im «Lohengrin»?
Es ist sehr schwierig, die Rolle oft zu singen. Und man muss sie sorgfältig planen. Die Stimme verdirbt man sich sicher nicht nach einer einzigen Inszenierung von «Lohengrin». Zum Beispiel singe ich in der Oper «Manon Lescaut» in Zürich die Rolle von Des Grieux, was meiner Meinung nach die schwierigste Rolle für einen Tenor ist. Und wenn ich diese Rolle hier singe, dann im selben Jahr auch in London, New York, Berlin und Neapel. Das ist schlecht für meine Stimme. So sehr, dass das Interesse der Theater an mir sinken würde. Die Frage ist aber, was ich nach «Manon Lescaut» mache. Es ist nun einmal nötig, oft Nein zu sagen.
Viele sagen, Sie hätten es meisterhaft verstanden, ihren Weg geradlinig und langsam zu gehen. Haben Sie auch Fehler gemacht?
Bei Puccinis «Butterfly» habe ich mich bei den Zeiten verrechnet.
Zu früh in Ihrer Entwicklung?
Nein. Aber gleich danach stand «Rigoletto» auf dem Programm. Ich konnte ihn allerdings nicht so singen, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich musste absagen. Die Stimme war zu sehr auf das Verismo-Repertoire fokussiert. Ich würde es nicht als «Schreien» bezeichnen, aber bei Puccini muss man in einem anderen Stil singen als bei Verdi, die Orchestrierung ist dichter. Es ist wie in der Arena von Verona. Es spielt keine Rolle, ob es sich um «La Traviata» oder «Don Giovanni» handelt: Man muss viel mehr geben als in einem normalen Haus. Und ich verstand, dass nicht «Butterfly» das Problem war, sondern meine Planung. Nach «Manon Lescaut» gibt es daher keine Opern, nur wenige Konzerte. Ruhe bis Mai. Und dann kommt wieder «Hoffmanns Erzählungen».
Wie lange kann ein Tenor auf Topniveau singen?
Wenn er vorsichtig ist, lange, vielleicht 40 Jahre. Wie Piotr Beczala, Gösta Winbergh, Plácido Domingo, auch Pavarotti.
Sie sangen in den besten Häusern, unter den besten Dirigenten. Aber der Ruhm eines Pavarotti und die CD-Aufnahmen blieben aus. Stört Sie das?
Nein. Vielleicht bin ich ja auch nicht so gut. Es gab früher schon Sänger, die überall waren, aber eben doch nicht Weltstars. Aber ich bin noch jung. Schauen wir, was noch kommt.
Und wovon träumen Sie neben «Lohengrin»?
Ich bin glücklich mit dem, was ich erreicht habe. Und ich will noch lange singen, weil ich meinen Beruf liebe. Ich bin gespannt, wohin mich mein Weg führen wird. Ich werde weiterhin nur machen, was ich will – und alles geben. Mein Lehrer sagt immer, dass ich viel zu grosszügig, herzlich und emotional bin, viel zu viel gebe.
Ein Tenor eben.
Was kann ich machen? Er sagt, ich müsse mich zurückhalten. Aber die Leute kommen nun mal ins Theater, um jemanden zu hören, der speziell ist, der etwas riskiert. Normalität gibt es genug. Das Publikum braucht Emotionen. Man muss mehr geben – aber das Limit kennen.
Interview: Christian Berzins
Oper
Puccini: «Manon Lescaut»
Premiere: So, 9.2., 19.00
Opernhaus Zürich
Album
Saimir
Mit Werken von Puccini, Richard Wagner u. a.
(Opus Arte 2023)
Steile Karriere
Saimir Pirgu wurde 1981 in Albanien geboren, studierte erst Geige, dann Gesang in Bozen im Südtirol. 2003 sang der Tenor mit Claudio Abbado in Mozarts «Così fan tutte» – und die Karriere nahm ihren Lauf: Mailand, Paris, London, New York, Wien und Zürich. 2008 sang er in «La Bohème» im Hochhaus bei Bern, einer Produktion des Schweizer Fernsehens.