Musik kann ohne Mühe ironisch und sarkastisch sein, und ganz besonders gilt das für Militärmusik. Schon die Barockoper zelebrierte das Pathos von Pauken und Trompeten nicht nur, sondern karikierte es mitunter auch als hohl und falsch.
Und durch alle Epochen lässt sich leicht ein roter Faden an Ironie durch die Geschichte militärischen Pomps ziehen – von Offenbach, Berlioz oder Mahler bis hin zu den «Märschen um den Sieg zu verfehlen» von Mauricio Kagel.
Prokofjews Marsch glänzt mit musikalischer Ironie
Einen Ehrenplatz in dieser Galerie darf zweifellos Sergej Prokofjew (1891–1953) beanspruchen, der mit seinem königlichen Marsch in der 1921 uraufgeführten Oper «Die Liebe zu den drei Orangen» ein wunderbar schräges Beispiel für musikalische Ironie abgeliefert hat.
Das Stück ist so genial instrumentiert, dass die grossen Sinfonieorchester diesen pompösen Leerlauf nur allzu gerne als effektvolle Zugabe spielen.
Sollte Ihnen diese Musik übrigens bekannt vorkommen, dann könnte es auch sein, dass Sie nicht Prokofjews Original gehört, sondern «Star Wars» geschaut haben: John Williams hat sich in «Return of the Jedi» für seine «Parade of the Ewoks» unüberhörbar von diesem Marsch inspirieren lassen.
Unfähige Zauberer und ein deprimierter Prinz
Aber natürlich ist nicht nur dieser Marsch, sondern alles an Prokofjews wunderbar überspitzer Märchenoper musikalisch ähnlich gut gelungen. Er fand charakteristische Töne für alle Figuren, seien es verzauberte Prinzessinnen, ein verzweifelter König, schusselige Hofschranzen, gute, aber unfähige Zauberer, eine abgrundtief böse Hexe oder eine starke Köchin.
Und weil es ein Märchen ist, gibt es natürlich auch einen Prinzen. Der ist dummerweise nicht schön und stark, sondern krank und deprimiert. Nur Lachen kann ihn heilen, aber es gibt Kräfte im Königreich, die lieber einen schwachen Prinzen wollen.
Das ist die Ausgangslage von Prokofjews Opern-Farce, die einerseits auf den russischen Theater-Erneuerer Wsewolod Meyerhold, aber in ihrem Kern auf die italienische Commedia dell’ Arte zurückgeht.
Man muss die Geschichte nicht weitererzählen, um zu wissen, dass es bis zum obligaten Happy End zahlreiche komische, skurrile und hanebüchene Szenen und massenhaft Witzfiguren und Theater-Gags geben wird.
Prokofjew war es ein Anliegen, sich sowohl von den Musikdramen Wagners wie auch dem Pathos eines Puccini abzugrenzen, und so komponierte er für diesen Stoff eine schnelle, kurzweilige und überaus witzige Musik, die in St. Gallen unter den Händen des Chefdirigenten Modestas Pitrenas ihre Wirkung nicht verfehlen wird.
Dass es aber zum Happy End kommt, dafür braucht es hier nicht mehr einen Deus ex Machina wie in der Barockoper. Es ist schlicht der Chor, der dauernd das Geschehen beobachtet, über dessen Verlauf debattiert und resolut eingreift, wenn er findet, dass es nun zu sehr aus dem Ruder laufe. Diesen schon bei Prokofjew deutlich vorhandenen Aspekt hat die Regisseurin Anna Bernreitner für die Produktion in St. Gallen noch einmal deutlich verstärkt.
Ein omnipräsenter und manipulativer Chor
Die Märchenfiguren leben in einer bonbonbunten Laborwelt und haben keinen Schimmer davon, dass es da draussen noch etwas anderes gibt. Der weiss gewandete Chor dagegen ist omnipräsent, greift steuernd und manipulierend ein und lenkt die Figuren nach seinem Geschmack und zu seinem Vergnügen.
Die österreichische Regisseurin fand Parallelen im Film «The Truman Show», in dem Jim Carrey unwissentlich den Protagonisten einer riesigen Realityshow spielt. Solche Referenzen mag Anna Bernreitner und baut sie gerne in ihre Arbeiten ein. Ohnehin ist es ihr ein Anliegen, die Oper zu den Menschen von heute zu bringen.
Mit ihrer 2011 gegründeten Kompanie «Oper rund um» holte sie die Stücke aus dem Theater und spielte in Schwimmbädern, verlassenen Fabriken oder einfach auf der Strasse und im Wald. Diesen Sommer brachte sie für die St. Galler Festspiele Purcells «The Fairy Queen» auf einer Alp in den Flumserbergen als knallbunte, verspielte Fabel auf die Bühne.
Die tröstende Flucht in die Traumwelt
Prokofjews Oper interpretiert sie als Reflexion über die Grenzen von Wahrnehmung und Wirklichkeit: «Sind wir nur kleine Rädchen eines grossen Masterplans?», fragt sie. «Wenn sich uns die Gelegenheit bietet, mehr von der Welt zu entdecken und über uns zu erfahren, haben wir dann den Mut, zu forschen und Neues zu erfahren oder verharren wir lieber im Vertrauten?»
Das Disney-Schloss und die schrägen Science-Fiction-Kostüme werden zu den Chiffren für die Scheinwelt, in der die Märchenfiguren leben. Dabei empfindet die Regisseurin die Flucht in Schein und Traumwelten nicht unbedingt als negativ, sondern auch als Inspirationsquelle für die Wirklichkeit: «Das Tolle an fiktiven Leben ist, dass sie einen zurückwerfen auf das eigene Leben. Wir können durch Serien und Medien in eine Traumwelt flüchten, aber wenn wir offen bleiben, dann empfangen wir Nachrichten, die uns wieder mit den Fragen des eigenen Lebens konfrontieren. Am schönsten finde ich es, wenn uns Traumwelten Trost geben und Hoffnung, im eigenen Leben den richtigen Weg zu finden.»
Die Liebe zu den drei Orangen
Premiere: Sa, 21.9., 19.00
Theater St. Gallen