Es ist eine eher absurde Horrorgeschichte um verbrannte Kinder und eine unheimliche Zigeunerin, um Brüder, die sich nicht erkennen, und unheilvolle Liebesgeständnisse an die falsche Adresse. Der damals junge Autor Antonio García Gutiérrez siedelte sie in Spaniens Mittelalter an. Giuseppe Verdi war fasziniert von diesem Stoff und trieb 1852 seinen Librettisten Salvatore Cammarano unermüdlich an, ihm doch bitte die Verse möglichst rasch zu schicken. Und er schrieb wie im Flow: eine Partitur, in der sich ein Hit an den anderen reiht und die einen unglaublichen Sog entwickelt, eine Spirale ins Verderben, die sich unaufhaltsam dreht. Für jeden der vier Protagonisten gibt es grandiose emotionale Wechselbäder, für die Verdi mit souveräner Hand alle Register italienischer Gesangskunst zieht.
Das Klaustrophobische der Oper untermauern
Aber diese Geschichte für ein Publikum von heute plausibel zu erzählen, das ist ein Kunststück für sich. Der Bündner Schauspieler und Regisseur Andrea Zogg wagt sich an diese Aufgabe. Sorgen macht er sich keine, weil er weiss, dass die Musik des «Trovatore» derart stark und soghaft ist, dass man ganz leicht übersehen kann, wenn die Handlung mal ein bisschen sprunghaft und unlogisch erscheinen mag. «Die Oper hat gegenüber dem Schauspiel den grossen Vorteil, dass sie wegen der Musik für das Verständnis keine intellektuelle Übersetzung braucht. Sie erreicht uns direkt und unmittelbar in unserem Herzen», sagt er und ergänzt: «Als ich anfing, Opern zu inszenieren, habe ich mir immer viele Gedanken über das Gesagte gemacht und lange nicht begriffen, dass ich als Regisseur vor allem eine Atmosphäre kreieren muss.»
Die engen Mauern des Schlosshofs im bündnerischen Haldenstein passen perfekt zum «Trovatore», findet Andrea Zogg. Diese Oper habe etwas Klaustrophobisches, und dazu kommt die Dunkelheit: «Es ist ständig Nacht in diesem Stück, Träume und Albträume bestimmen die Handlung, und der Horror wird unterlegt von einer ungemeinen Leidenschaft. Das Drastische dieser Geschichte kann man nicht relativieren, und ich versuche, noch eine Steigerung einzubauen, wenn im vierten Akt die Szenen weiter zugespitzt werden. Das ist grosses Hollywood-Kino.»
«Darüber hinaus sind wir dauernd im Krieg in dieser Oper», sagt Andrea Zogg. «Ich habe mir nicht gewünscht, dass der Krieg in der Ukraine eine ungeahnte Aktualität auf unsere Inszenierung werfen wird, aber wir können uns dem auch nicht entziehen. Gerade die Kunst ist mit ihren Mitteln in der Lage, auf solche Ereignisse zu reagieren.»
Unheilvolle Handlung mit wunderschöner Musik
Interessant ist die Figurenkonstellation im «Trovatore», denn zum sonst üblichen Dreieck der Leidenschaften zwischen dem Liebespaar Sopran und Tenor und dem Bariton als Bösewicht, Spielverderber oder schlicht besorgtem Vater kommt hier eine vierte Hauptfigur: die Zigeunerin Azucena. Sie ist dunkel, unheimlich und besessen von Rachegedanken. «Diese Rache ist gnadenlos, bis zum bitteren Ende», sagt Zogg. «Psychologische Entwicklungen interessierten Verdi hier nicht. Man wird immer wieder Knall auf Fall in neue Situationen hineingeworfen, die Spirale dreht sich immer schneller in dieser Nacht der Dämonen. Man hat das Gefühl, alle diese Figuren suchen regelrecht nach ihrem Unheil. Und all das zu dieser unglaublich schönen Musik!»
Für die Musik ist der 1974 in Saanen geborene Philippe Bach zuständig, der seit 2016 Chefdirigent der Kammerphilharmonie Graubünden ist, dem Hausorchester der Schlossoper Haldenstein. Er bringt nach seinen Chefpositionen in den deutschen Theatern von Lübeck und Meiningen eine grosse Opern-Erfahrung mit und pflegte ein breites Repertoire, in dem Verdi bisher gar keine so grosse Rolle spielte. Den «Trovatore» aber hat er schon ganz früh in seiner Karriere dirigiert – und liebt das Stück heiss: «Es ist italienische Oper vom Besten, Verdi ist auf dem Höhepunkt seines Könnens, alles ist perfekt. Das Timing ist atemberaubend, und die vier Hauptrollen haben charakteristische und farbige Partien.»
Bach weiss aber auch, dass man dieses dramatische Werk nicht mit Anfängerstimmen besetzen kann. Das widerspricht dem ursprünglichen Konzept der Schlossoper Haldenstein, die 2001 als Wettbewerb für den Opernnachwuchs gestartet wurde. Aber schon Enrico Caruso meinte einst scherzhaft, den «Trovatore» zu besetzen sei die einfachste Sache: Man brauche bloss die vier besten Sänger der Welt. «Es gibt Opern, die kann man nicht mit Anfängern machen», sagt Bach, «und dieser schwere Verdi gehört definitiv dazu. Deshalb haben wir uns entschlossen, auf den sonst bei uns üblichen Castingwettbewerb zu verzichten, unsere Beziehungen spielen zu lassen und Solisten von Format und mit Erfahrung direkt zu engagieren.»
Mit hochkarätigen Stimmen besetzt
Die in Graubünden aufgewachsene Mezzosopranistin Maria Riccarda Wesseling war für die Rolle der Zigeunerin vorgesehen, musste das Engagement aus gesundheitlichen Gründen aber absagen. Ihr Ersatz, die bulgarisch-schweizerische Mezzosopranistin Jordanka Milkova, ist mindestens so hochkarätig. Der italienische Tenor Andrea Bianchi singt den Troubadour, die türkische Sopranistin Elif Aytekin die Leonora, der mexikanische Routinier Gerardo Garciacano den Conte di Luna, und in kleineren Rollen singen Bündner Stimmen: Flurin Caduff, Anika Defuns und Claudio Simonet. Und natürlich ist der in dieser Oper sehr wichtige Chor aus Stimmen aus der Region zusammengesetzt. Er wird von Armin Caduff einstudiert, und Philippe Bach freut sich über die hohe Chorqualität in Graubünden. Zudem hilft das Schloss selber musikalisch mit, stellt Bach fest: «Die natürliche Akustik ist phänomenal, dank den Schlossmauern müssen die Sänger und das Orchester nicht verstärkt werden.»
Il Trovatore
Premiere: Mi, 3.8., 20.00, Innenhof Schloss Haldenstein GR
www.schlossoper.ch