Oper im Kino - Wenn das Auge mithören kann
K-Tipp-Redaktor und Opern-Liebhaber Ernst Meierhofer führte sich Mozarts «Così fan tutte» im Kino zu Gemüte statt in der Oper – ein persönlicher Erfahrungsbericht.
Inhalt
Kulturtipp 12/2012
Ernst Meierhofer
Wie es alle im Zürcher Opernhaus machen – das kenne ich zur Genüge. Eine relativ steife Gesellschaft, überwiegend im Rentenalter, oft der Hörgerätegeneration angehörend. Man pflegt den unauffälligen Auftritt in dezentem Schwarz, beäugt sich distanziert/neugierig (Kenne ich den? Was hat die denn angezogen!), und die meisten Besucher sonnen sich leise im Bewusstsein, zu einer kulturbeflissenen Elite zu gehören.
Was f&uu...
Wie es alle im Zürcher Opernhaus machen – das kenne ich zur Genüge. Eine relativ steife Gesellschaft, überwiegend im Rentenalter, oft der Hörgerätegeneration angehörend. Man pflegt den unauffälligen Auftritt in dezentem Schwarz, beäugt sich distanziert/neugierig (Kenne ich den? Was hat die denn angezogen!), und die meisten Besucher sonnen sich leise im Bewusstsein, zu einer kulturbeflissenen Elite zu gehören.
Was für ein Gegensatz
Und dann – nur 150 Meter entfernt, im Kino Corso am Bellevue, was für ein Gegensatz: Ein ungefähr 40-jähriger Typ mit Nasenpiercing, kurzen Hosen und roten Kniesocken schaut sich eine Übertragung aus dem Londoner Royal Opera House an. Das Publikum ist gut durchmischt, es wird wie üblich Popcorn gefuttert, der eine oder andere schaut ab und zu auf sein iPhone. Natürlich darf auch die obligate Flasche nicht fehlen, die auf den Boden fällt und dann nach vorne rollt.
Oper ohne jegliche Zwänge und Konventionen – das ist erfrischend, das habe ich genossen. Im Kino kann man auch mal die Gedanken abschweifen lassen: Was passiert, wenn im zweiten Akt plötzlich Bruce Willis reintrampelt und alles zusammenschlägt? Oder wenn ein Sänger plötzlich aus dem Takt fällt, weil Julia Roberts Pretty-Woman-mässig aus dem Souffleurkasten schaut?
Zuerst allerdings war ich entsetzt. Oper ist ja normalerweise unplugged, wie man heute sagt. Die Stimmen kommen direkt, ungefiltert und originalgetreu ins Ohr, ebenso die Instrumente aus dem Orchestergraben. Nur live kommt der Charakter einer Stimme unmittelbar und voll zur Geltung, nur so klingen Instrumente richtig. Im intimen Rahmen des Opernhauses erst recht. Wer je erlebt hat, wie ein Cello die Luft zum Vibrieren bringt, wie ein Waldhorn den Raum füllt, wie ein Fagott den Zuhörer die Luft anhalten lässt – der weiss, wovon ich rede. Und eine Cecilia Bartoli in Hochform – das ist Gänsehaut pur.
Rahmglace ohne Rahm
Oper auf der Kinoleinwand hingegen – das ist nur Musik aus der Konserve. Sie kam mir zu Beginn extrem pampig vor und verwässert, wie durch Watte gepresst. Daran können der beste Toningenieur und das teuerste Dolby-Sound-System nichts ändern.
Wahren Musikgenuss können Kenner deshalb im Kino nicht erwarten. Oder würden Sie Rahmglace ohne Rahm verlangen? Trinken Sie zum Essen einen billigen Rosé, wenn es auch einen feinen Tropfen Rotwein gibt? Hängen Sie einen Rolf Knie an die Wand, wenn Sie einen Paul Klee besitzen?
Zum Glück kommt selbst im Opernkino unweigerlich der Moment, in dem die Macht der Mozart-Musik den Zuschauer völlig vereinnahmt und ihn alles vergessen lässt. Nicht von ungefähr nennen wir den Komponisten in entrückter Vergötterug AmaDEUS, obwohl er sich selber meist Amadé nannte.
Und sonst? Natürlich spielt auch der Preis eine Rolle. Ob ich 270 Franken zahle für einen Parkettplatz oder nur 35 wie in den Kitag-Häusern – das entschädigt für vieles. Und die Untertitel auf der Leinwand sind auch ganz praktisch – erinnern allerdings schmerzhaft daran, dass sehr viele Opern inhaltlich
absoluter Schwachsinn sind.
Dafür sind die Sänger dank Zoom greifbar nah. Es hat durchaus seine Reize, wenn das Auge mithören kann. Mehr sei hier nicht verraten. Nur so viel: Sollte die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson mal in der Zürcher Oper singen – Sie wissen, wo Sie mich finden.