Es war eine Katastrophe für das Opernhaus Zürich, damals im April 2015. Die Generalprobe der mit Spannung erwarteten neuen «Traviata» sang Anita Hartig – danach kam ihre Absage: nicht nur für die Premiere, sondern gleich für alle sechs Vorstellungen. Kurioserweise hätte exakt in derselben Periode die steil die Karriereleiter aufsteigende Sonya Yoncheva in Zürich die Rolle der Lucia di Lammermoor singen sollen. Sie hatte aber abgesagt, da ihre Stimme nach der Geburt ihres Kindes schwerer geworden war und sie deshalb auf das Koloraturfach verzichten wollte. Für Violetta aber war Yoncheva bereit – und triumphierte.
Singen mit der Idee für das Ganze
Schon im Trinkduett mit Alfredo erkannte man den Unterschied zu den Durchschnittssängern rund um sie herum. Sie reihten Töne aneinander, konnten sie aber nicht fühlend mitdenken. Yoncheva hingegen sang immer mit einer grossen Idee für die ganze Phrase, ja die ganze Rolle. Sie war keine dieser Sternschnuppen-Violettas, die Schlüsselworte genüsslich von sich schleudern, danach aber nur warme Luft bieten. Wie sie aus einem tragenden Pianissimo heraus dank kühner Legato-Kunst zu einem erhabenen Mezzoforte fand, war hinreissend. Geradezu unheimlich schien, wie sie dabei Töne sprechend und klagend sang und jedem einzelnen eine geheimnisvoll duftende Farbe gab, ohne dabei laut zu werden. Ihre tausend Kümmernisse legte sie in jede Silbe, herzzerreissend gestaltet waren ihre anklagenden Ausrufe im Finale.
Ihr Triumphzug durch die Opernwelt ging danach richtig los. «Paris, Mon Amour» hiess ihre Debüt-CD 2015 – und diese Liebe hielt an. Als sie zusammen mit einer Traumbesetzung im Herbst 2017 die Elisabeth in Verdis «Don Carlos» sang, jubelte ihr Paris zu. Gleich darauf stand in der Opéra Bastille Puccinis «La Bohème» an – doch nach der Premiere wurde die Bulgarin krank, musste die ganze Serie absagen. Was sie vielleicht nicht allzu sehr schmerzte, musste Mimì in dieser Produktion doch quasi losgelöst von der eigentlichen Szene als Vision von Rodolfo auftreten – und das auf dem Mond und in einem Raumschiff.
Heimspiele in der Schweiz für Liederabende
Adieu, Paris …? Im Februar war sie die Mimì in New York, im April folgt ebendort Verdis «Luisa Miller», im Juli Imogene in «Il Pirata» an der Mailänder Scala, im August singt sie die Titelrolle in Monteverdis «Poppea» bei den Salzburger Festspielen: Drei der fünf Top-Operndestinationen rollen ihr den roten Teppich aus.
Auf Zürcher oder Genfer Opernproduktionen hingegen hofft man wohl vergeblich. Obwohl die 36-Jährige am Genfer Konservatorium studiert hat und im Kanton Waadt wohnt, versprechen die Opern-Metropolen mehr Glanz und viel grössere Beachtung. Die Schweiz ist ideal dafür, um Ruhe mit ihrem Söhnchen Matteo zu finden – und wieder in die grosse Welt zu fliegen.
Für Liederabende gibt sie indes zwei «Heimspiele» in der Schweiz: Im Februar dürfen ihr die Genfer Melomanen zu Füssen liegen, am 1. Mai die Zürcher. Der Genfer Abend steht unter dem Titel «Verdi-Tour», gesungen wird dann mehr oder weniger das neue CD-Programm – doch das ist schlicht umwerfend. Ob «Il Trovatore», «Forza del destino» oder «Nabucco»: Sie singt von Leid, Liebe und Trauer, macht jede Verdi-Heldin fühlbar.
Eine noch reifere Stimme als vor zwei Jahren in Zürich ist zu hören, die bisweilen voller Tränen scheint. Die Ausdrucks- und Farbenvariabilität ist ungeheuer. Selbst das bisweilen etwas langatmige «Ave Maria» der Desdemona aus «Otello» gelingt ihr so innig, dass man mitbeten möchte.
Barockklänge mit seufzendem Hauch
Wer diese furiose Verdi-Glut hört, staunt, dass Sonya Yonchevas letzte CD – vor gerade mal einem Jahr – dem Barock gewidmet war: Sie schaffte das Kunststück, ihren pfingstrosenfülligen Sopran in Arien von G.F. Händel fein zurückzunehmen und den durchsichtigen Barockklängen einen seufzenden Hauch von grosser Oper beizugeben. Und wer meint, dass es etwa eigenartig sei, Händel, ja Monteverdi und gleichzeitig Verdi zu singen, nicht aber die Opern von Mozart, der sei vertröstet: Auch das wird wiederkommen.
Mit Violettas grossen Arien in Genf
Nebenbei: Wer die «Traviata» 2015 in Zürich in bester Erinnerung hat oder aber die Chance damals verpasste, wird live in Genf auf seine Kosten kommen, stehen doch beide grossen Arien der Violetta auf dem Programm: Lachen, Weinen, Sterben – kaum eine andere drückt es so intensiv aus wie Sonya Yoncheva. 2015 gab es erst ein Hoffen, ja ein banges Fragen der jungen Mutter, wo dieser Weg und diese Karriere hinführen würden. Jetzt gibt sie weltweit Antworten.
Konzerte
Verdi-Tour
So, 4.2., 19.30
Opéra des Nations Genf
Liederabend
Di, 1.5., 19.00
Opernhaus Zürich
Lieder und Arien von Massenet, Puccini und Chopin
CDs mit Sonya Yoncheva
Paris, mon amour
Mit dem Orquestra de la Comunitat
Valenciana
(Sony 2015)Händel
Mit der Academia Montis Regalis
(Sony 2017)Verdi Album
Mit dem Münchner Rundfunkorchester
(Sony 2018)