Das wissen schon kleine Kinder: Dem Bösen begegnet man am besten mit Humor. Diese Märchenweisheit setzte der belgische Autor Michel de Ghelderode 1934 in seinem Stück «La ballade du Grand Macabre» um. Darin ruft Höllenfürst Nekrotzar den Tag des jüngsten Gerichts aus, begiesst sein Vorhaben aber derart opulent mit Wein, dass er die Apokalypse schlichtweg verschläft. Als er verkatert erwacht, wird er von den vermeintlichen Opfern ausgelacht. Dieser Klassiker des absurden Theaters inspirierte György Ligeti zu seiner fast gleichnamigen Oper «Le Grand Macabre». Damit schuf der ungarische Komponist 1978 seinerseits einen Klassiker der Neuen Musik.
Ligeti – der Revolutionär der Neuen Musik
Das Luzerner Theater eröffnet mit diesem epochalen Bühnenwerk seine neue Spielzeit. «Der Stoff, ein grotesker Totentanz, passt gut ins katholische Luzern», begründet Benedikt von Peter, seit 2016 Intendant in Luzern, diese Wahl. Zudem sei «Le Grand Macabre» eine gute Fortsetzung von Luigi Nonos «Prometeo», mit dem das Luzerner Theater letztes Jahr seine Zusammenarbeit mit dem Lucerne Festival begonnen hat. Ziel dieser Kooperation sei es, so von Peter, Klassiker der Moderne einem breiten Publikum zu präsentieren (siehe Interview unten).
György Ligeti (1923–2006) ist bekannt geworden als Revolutionär der( Neuen Musik. In Ablehnung der Seriellen Musik liess er sich von der elektronischen Avantgarde beeinflussen und komponierte mittels Klangflächen, Clusters oder Mikropolyphonie, bei der zahlreiche Stimmen auf engstem Raum zusammenrücken. Seinen Durchbruch erlebte Ligeti 1961 mit dem Stück «Atmosphères», dem Stanley Kubrick in seinem Kultfilm «2001 – A Space Odyssey» ein klingendes Denkmal schuf.Für «Le Grand Macabre» kehrte Ligeti zu einer konventionelleren Klangsprache zurück. «Ligetis Anti-Oper richtet sich gegen die ästhetischen Dogmen der Nachkriegsavantgarde, indem sie dem Kanon der Neuen Musik widerspricht», erklärt Herbert Fritsch, der in Luzern inszeniert. «Sie ist kraftvoll, unterhaltsam, lustvoll anarchisch und voller Zitate der Musikgeschichte.» Tatsächlich collagiert «Le Grand Macabre» Cabaret- und Musicalsongs, Operettenparodien und Adaptionen aus Volkslied, Pop- und Film-Musik.
Der deutsche Multisparten-Künstler Herbert Fritsch (66) hat seine Regiekarriere 2005 in Luzern begonnen und gilt heute als international gefeierter Zampano spartenübergreifender Bühnenproduktionen.
Eine musikalische Knacknuss
Für Benedikt von Peter ist Fritsch die Idealbesetzung für die Inszenierung des «Grand Macabre». Wobei von Peter auch die Zusammenarbeit mit Musikdirektor Clemens Heil betont. Denn Ligetis Werk ist eine musikalische Knacknuss. Als der Komponist merkte, dass seine Urfassung von 1978 sängerisch und orchestral kaum umsetzbar war, legte er 1996 eine entschärfte Neufassung vor, die nun auch in Luzern zu hören ist.
Ein dennoch ambitioniertes Unterfangen, wird man sich doch mit früheren Aufführungen messen lassen müssen wie etwa der ungemein bildkräftigen und ausgetüftelten Inszenierung der katalanischen Truppe La fura dels baus von 2011.
György Ligeti siedelt seine prall-witzige Groteske in einem endzeitlichen «Breughelland» an und zitiert damit den belgischen Barockmaler gleichen Namens. Einen allfälligen Bezug der Inszenierung zu den Grotesken des aktuellen Weltgeschehens will Benedikt von Peter den Zuschauern überlassen. Herbert Fritsch sagt gar dezidiert: «Mir graut vor Betroffenheitstheater.» Was in Luzern zu erwarten ist, erklären die Theatermacher in den beiden Kurzinterviews.
Le Grand Macabre
Premiere: Fr, 8.9., 19.30
Luzerner Theater
www.luzernertheater.ch
Drei Fragen an Regisseur Herbert Fritsch: «Ein Stück voll schwarzem Humor»
kulturtipp: Werden Sie mit Ihrer Inszenierung Bezug auf das aktuell groteske Weltgeschehen nehmen?
Herbert Fritsch: Die Forderung nach politischem Theater ist mir ziemlich suspekt. Gemütlich im Theatersessel zu sitzen und das Grauen der Welt vorbeiziehen zu lassen, ist nicht meine Sache. Da bin ich mir einig mit György Ligeti, dem Komponisten von «Macabre», der auf ideologische Vereinnahmungen seines Werks allergisch reagierte.
Fokussieren Sie also eher auf die Humoreske als auf die Endzeit-Parabel?
Es ist ein Stück voll schwarzem Humor, total ausgearbeitet bis ins kleinste kluge Detail. Aber trotzdem wirkt es so, als sei es Ligeti einfach passiert. Ich mag diese Leichtigkeit: Ein permanenter Walzer und Teile, die sich wie eine Operette singen lassen. Ein Bild wächst aus dem nächsten, die Abfolge ist assoziativ mit merkwürdigen Bruchstücken. Ligeti gelingt etwas, das an Shakespeare erinnert: Im Komischen schwingt das Tragische mit, im Tragischen das Komische. Beide Zustände sind untrennbar miteinander verwoben.
Wie gehen Sie diesen «Klassiker» auf neue Weise an?
Entscheidend war das Bild, das ich gleich im Kopf hatte und das ich gerne sehen wollte: Särge in kräftigen Farben, ein glänzender Boden. Farbe ist für mich Energie: Rot, Gelb, Blau – das sind Farben, vor denen Künstler oft Angst haben. Das Feinkonzept entsteht dann aus den Menschen, mit denen ich arbeite: Sängerinnen, Sänger, Dirigent, aber auch Techniker und alle anderen, mit denen ich zu tun habe. Theater ist eine Sache des Augenblicks. Und darum muss es im Augenblick entstehen.
Drei Fragen an Intendant Benedikt von Peter: «Der Stoff passt gut ins katholische Luzern»
kulturtipp: Was gab den Anlass, Ligetis Groteske ins Programm zu nehmen?
Benedikt von Peter: Der Stoff passt gut ins katholische Luzern. Das Thema begegnet mir täglich, wenn ich über die Kapellbrücke zum Theater gehe. Ausserdem haben wir mit Herbert Fritsch einen Regisseur, der wie kein anderer Ligetis «Breughelland» bebildern und bespielen kann: anarchistisch, kräftig, lustvoll, voller hintersinnigem Witz und überbordender Spielfreude. Und wir haben mit Clemens Heil einen Musikdirektor, der dieser komplizierten, total ausgetüftelten Partitur eine musikalische Dringlichkeit verleihen wird.
Erwarten Sie von der Inszenierung einen zeitgeschichtlichen Kommentar?
Das soll das Publikum beurteilen. Die szenische Sprache und die Sprache der Körper in den Inszenierungen von Herbert Fritsch haben so eine akute Kraft und Sinnlichkeit, dass man merken wird, was das zeitgeschichtlich bedeutet.
Die Inszenierung am Luzerner Theater ist eine Co-Produktion mit dem Lucerne Festival. Wie wird dies spürbar?
Letztes Jahr sind wir gemeinsam mit Luigi Nonos «Prometeo» gestartet. Der Versuch, Klassiker der Moderne sinnlich begreifbar zu machen und grössere Publikumsschichten zu erreichen, ist geglückt. Das Lucerne Festival
hat den Coup, den in Metropolen gefeierten Herbert Fritsch hier nach Luzern zu locken, sehr begrüsst.