Draussen Lärm, drinnen Stille. Auf der Bühne der Bregenzer Festspiele werden an diesem Tag Anfang Juni gerade unter lautem Getöse Plexiglasplatten zugeschnitten für jene Eisflächen, die das Publikum bei der romantischen Oper «Der Freischütz» von 1821 frösteln lassen sollen. Ein in aufwendiger Arbeit gekonnt imitiertes, vom Dreissigjährigen Krieg halb zerstörtes Dorf samt schiefem Kirchturm ist beinahe fertig. Bald werden die Proben beginnen.
Drinnen im neuen Werkstattgebäude neben dem Festspielhaus herrscht Ruhe. Dicht an dicht hängen Kostüme an Garderoben ständern, angefertigt für Gioachino Rossinis Oper «Tancredi», die im Festspielhaus geplant ist – vor allem aber auch für den «Freischütz» auf der Seebühne. Wasser und Feuer, das sind die Elemente, mit denen Lenka Radecky-Kupfer, die Leiterin der Kostümabteilung, sich diesmal herumschlagen darf. Vor allem aber: Darsteller, Stuntleute, Chor und Tänzer müssen im Stil der Entstehungszeit der Oper eingekleidet werden – und so winterlich, wie die Szenerie sich präsentiert.
«Alles muss stimmen, bis ins letzte Detail», sagt sie mit grosser Entschiedenheit. «Und alles ist Handarbeit.» 60 Mitarbeiterinnen sorgen dafür, dass Kostüme und Hüte pünktlich fertig werden, und zwischen den Vorstellungen flicken und trocknen sie, was das Zeug hält.
Und auch einige aufsehenerregende Aktionen, die Lenka Radecky-Kupfer vor der Premiere nicht verraten will, mussten ausgetüftelt und geprobt werden. «Der ‹Freischütz›», sagt sie, «ist das Aussergewöhnlichste, was wir gemacht haben, seit ich die Kostümabteilung leiten darf.»
Den Schauplatz nah ans Publikum gerückt
Schauerlich-düster ist die Geschichte, welche die Oper erzählt. Max, ein junger Amtsschreiber aus der Stadt, soll im Dorf, in dem er reüssieren will, nach alter Sitte einen Probeschuss abgeben, um Agathe, die Tochter des Erbförsters, heiraten zu dürfen. Doch er versagt und lässt sich vom zwielichtigen Kriegsveteranen Kaspar um Mitternacht in die verrufene Wolfsschlucht lotsen, um dort unter Anleitung des teuflischen Samiel Freikugeln zu giessen, die ihr Ziel niemals verfehlen. Natürlich ist dafür ein Preis zu zahlen, was der naiv-verzweifelte Max aber nicht weiss.
Für diese wildbewegte Oper mit Happy End hat Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl ein aufsehenerregendes Setting ersonnen. Weil zeitgleich mit seinem Bühnenaufbau ein neuer Betonkern für die in die Jahre gekommene Seebühne gegossen werden musste, hat er seinen Schauplatz ganz nah ans Publikum gerückt, mit einem grossen, 500'000 Liter fassenden Wasserbecken vor verschneiter Landschaft.
Man soll in dieses Drama hineingesogen werden. Aus dem Wasser tauchen Gestalten auf und verschwinden dort auch wieder. Gegen Feuer sind sie mit vorpräparierten, von Rennfahrern verwendeten Stoffen oder mit einer Paste geschützt und gegen das Wasser mit einer Schicht Neopren und mit besonderem, sehr teurem Schuhwerk. Gemütlich wird das nicht. Und an warmen Abenden auch ziemlich heiss.
Ein Tenor, der das Wasser liebt
Mauro Peter lacht, als wir ihn zwei Wochen nach dem Termin in der Kostümabteilung auf sein Abenteuer am und im Wasser ansprechen. «Ach, ich liebe das Wasser», sagt der Tenor, der seine Kunst bisher mehr in Konzertsälen und auf Opernbühnen praktiziert hat, nach seiner ersten Probenwoche. Er ist als einer der drei Darsteller des Max zu sehen. Über dessen Versagen beim Probeschuss hat er sich seine Gedanken gemacht. «Ich stelle mir vor, das ist ein Mensch, der, vielleicht im Krieg, Schlimmes erlebt und nun zu trinken begonnen hat. Und dessen Hände zittern.»
Mehr Raum für das Schauerliche
Zunächst allerdings stehen die vielen technischen Hürden im Vordergrund. Der Umgang mit wasserdichten Microports etwa, welche die Stimmen aufnehmen und mit dem im Festspielhaus platzierten Orchesterklang zusammenführen. Und vor allem die gesprochenen Szenen, denen der Regisseur Philipp Stölzl sein besonderes Augenmerk gewidmet hat. Zusammen mit Jan Dvorák hat er sie sprachlich neu gefasst, stark gestrafft und auch die – aus heutiger Sicht – ziemlich altmodischen Frauenrollen modernisiert. Und: Er hat den Teufel zum Erzähler, Conférencier, Strippenzieher aufgewertet.
Das Böse, Schauerliche bekommt also mehr Raum. Warum fasziniert es uns so sehr? «Es existiert diese Angst, es könnte tief unten in unserer Seele jene dunkle archaische Welt geben, der Max in der Wolfsschlucht begegnet», setzt Philipp Stölzl zu einer Erklärung an. «Wie wir mit ihm auch die Angst teilen, zu versagen.» Und der Regisseur, der in einem katholischen Milieu aufgewachsen ist, fügt hin zu: «Aber es gibt daneben auch das Vertrauen in eine höhere Macht, die uns Gutes will.» Sie führt im «Freischütz» das gute Ende herbei.
Philipp Stölzls Nächte sind kurz, und die Tage sind gerade voller Besprechungen und Proben. Jahre dauernde Vorbereitungen streben ihrem Ende entgegen. Stölzl fühlt sich getragen. «Wie hier Inszenierungen erarbeitet werden, das hat etwas so wunderbar Gemeinschaftliches. Da ist sehr viel Zuneigung im Spiel, von der Technik, den Bühnenbauern, den Darstellern und Musikern.» Deshalb ist er nach Verdis «Rigoletto», den er 2019 und 2021 hier aufgeführt hat, zurückgekehrt an den See. Um etwas zu machen, «was eine andere Tonlage anschlägt». Denn: «Mich interessiert immer der Weg ins Unbekannte.»
Der Freischütz
Premiere: Mi, 17.7., 21.15
Seebühne Bregenz (A)
www.bregenzerfestspiele.com