kulturtipp: Alain Claude Sulzer, kennen Sie ein gutes Libretto?
Alain Claude Sulzer: Durchaus! Zum Beispiel Benjamin Brittens «Turn of the screw» – eine Oper, die auf einer Novelle von Henry James basiert. Dieses Libretto hat mir in einem kritischen Moment sogar beim Schreiben meines eigenen geholfen.
Welches ist das schlechteste Libretto?
Man ist, sicher zu Recht, schnell mit dem «Trovatore» zur Hand. Andererseits weiss man, wie Verdi sich mit den Librettisten gestritten hat. Und es gibt die «Traviata». Ein perfektes Libretto.
Hat ein gutes Libretto Ihren Musikgenuss je gesteigert?
Ganz bestimmt bei «Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss oder Mozarts «Così fan tutte». Diese Opern wären ohne die Libretti von Hugo von Hofmannsthal und Lorenzo da Ponte undenkbar. Mozarts «Idomeneo» andererseits käme gut auch mit einem komplett anderen Text aus.
Ein gutes Libretto lässt eine singuläre Musik entstehen?
Ganz sicher. Aber ein gutes Libretto ist nicht notwendig ein gutes Theaterstück. Ich bezweifle, ob ich «Salome» von Oscar Wilde ohne die Musik von Richard Strauss sehen möchte.
Ist denn die Suche beziehungsweise die Frage nach dem guten, also literarisch hochstehenden Libretto falsch? Erfüllt ein Libretto bloss einen Zweck?
Es erfüllt zuallererst den Zweck, einen Komponisten zu inspirieren. Trotzdem führt es ein Eigenleben. Ich bin froh, dass es heute in fast allen Opernhäusern Übertitel gibt. Zu wissen, dass das Libretto, das man geschrieben hat, nicht im Detail verstanden würde, wäre frustrierend.
Sie wollten nicht einfach der Musik dienen?
Mein Text ist geschrieben worden, um vertont zu werden. Er war vor der Musik da. Ein anderer Text ergäbe andere Musik. Aber natürlich hätte ich nie im Leben aus eigenem Antrieb ein Libretto geschrieben und mir danach einen Komponisten dafür gesucht.
Das Libretto basiert auf einer Ihrer Erzählungen: Der Plot war gegeben, Sie mussten ihn bloss dramatisieren. Eine Fingerübung?
Klar war, dass ich aus einer mehrschichtigen Erzählung ein kurzes, handfestes Stück schreiben würde, das nicht länger als 35 Seiten sein durfte. Im Vergleich zu andern zeitgenössischen Opern wollte ich nicht bei Adam und Eva beginnen und mit der Apokalypse aufhören. Eine reizvolle Herausforderung, auch weil es sich um die erste Oper von David Philip Hefti handelte, dessen Musik ich kannte und schätzte. Ich habe ihm Szene für Szene zugeschickt. Und er schrieb mir schon nach den ersten drei Seiten: «Bei deinen Worten höre ich sofort Musik.»
Dachten Sie selbst an Musik, als sie den Text schrieben?
Ja, auch wenn es eine andere war als die, die dann entstand. Jedenfalls so lange, bis ich sie zum ersten Mal hörte. Da nämlich wurden Text und Musik plötzlich zu einer idealen Einheit.
Libretto aus Novelle
Alain Claude Sulzer wurde 1953 in Riehen BS geboren. Sowohl in seinem Roman «Aus den Fugen» (2012) wie auch in anderen Texten und Arbeiten widmet er sich oft der Musik. Für die Oper «Annas Maske» von David Philip Hefti (*1975) hat er aus seiner eigenen Novelle aus dem Jahr 2001 ein Libretto geschrieben. Die Oper spielt im Opernmilieu
und beruht auf einer wahren Geschichte, einem Mord.
www.alainclaudesulzer.ch
Annas Maske
Premiere: Sa, 6.5., 19.30
Stadttheater St. Gallen