«Ho, ho, ho – wir machen ein Opernsängerlachen», lautet die Anweisung des musikalischen Leiters Dominik Dittrich, und alle lassen ein maximal stilisiertes Lachen erklingen. Bei der Probe von «La Strada» im Berner Kulturhaus Heitere Fahne ist ein ausgiebiges Warm-up im Gange: Power-Qigong wird praktiziert, Bälle fliegen durch die Luft, und alle stampfen auf den Boden oder rufen «Mjam, mjam» und fahren sich über den Bauch.
Das Ensemble von Bühnen Bern probt gemeinsam mit Darstellerinnen und Darstellern des Heitere Theaterateliers. Es ist ein inklusiver Ansatz, bei dem auch Menschen mit Behinderung mitwirken. Vor den Vorstellungen zu «La Strada» lädt die Heitere Fahne das Publikum jeweils zu einem Abendessen, wobei der Übergang in das Open-Air-Theater fliessend ist.
Das passt bestens zu einem Stück nach einem Drehbuch von Federico Fellini (1920–1993), veranstaltete der italienische Regisseur in seinem legendären Filmstudio Cinecittà bekanntlich opulente SpaghettiEssen. Kunst und Leben waren im Fellini-Universum eng verschränkt.
Mit dem Theaterstück auf Tournee
«La Strada» war Fellinis vierter Film und sein letzter im Genre des italienischen «Neorealismo» – jener Strömung, die als Antwort auf den Faschismus entstand und Poesie mit ungeschminktem Realismus kombinierte. Durch «La Strada» wurde Fellinis Frau Giulietta Masina bekannt, die den Begriff «Zampano» erschuf. Der Regisseur selbst nannte seinen Film eine «Sage von der verratenen Unschuld».
Bühnen Bern und die Heitere Fahne erzählen die unglückliche Liebesgeschichte zwischen dem Gaukler Zampano und dessen Assistentin Gelsomina nun in einem Bühnenstück. Dieses stammt von Gerold Theobalt und basiert auf Fellinis Drehbuch. Das ungleiche Paar tritt gemeinsam auf der Strasse auf. Sie ist verträumt und wird als Trompetenspielerin von den Menschen geliebt. Er ist grob und verzaubert das Publikum, indem er allein mit seiner Lungenkraft Ketten sprengt. Gemeinsam ziehen sie von Dorf zu Dorf.
Dementsprechend geht auch das Theaterstück auf Tour und wird nach fünf Vorstellungen auf der Terrasse der Heiteren Fahne an weiteren Spielstätten gastieren. Wie heutig sind Zampano und Gelsomina? Sie ist demütig, er ist fordernd. Ist das noch zeitgemäss? «Das Motiv der Co-Dependenz ist universell. Der eine kann nicht ohne den anderen», sagt Elisa Elwert, Dramaturgin bei Bühnen Bern. Fellini habe überzeichnete Figuren geschaffen, die immer noch treffen. «Zampano hat die Beziehung zur Welt verloren.»
Mit weissem Hemd, Brille und Hut in Fellinis Rolle
Die Laiendarstellerin Clemy Cooijmans vom Heitere Atelier hatte keinen Bezug zu Federico Fellini, bevor sie in dem Stück mitwirkte, wie sie erzählt. Zuerst hatte sie leichte Bedenken, mit den Profis zu spielen. «Die können das alles», habe sie jeweils gedacht. Die 65-Jährige schlüpft im Prolog zum Stück wie ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter mit weissem Hemd, Brille und Hut in die Rolle Fellinis.
Denn in der Inszenierung unter der Regie von Max Merker spielen verschiedene Akteure die einzelnen Figuren. Christoph Schmocker, ebenfalls vom Heitere Atelier, zeigt sich hingegen als grosser FelliniFan. Ihm gefällt, dass alles aus dem Nichts, ohne grosse Kulisse entsteht. Neben seiner Rolle als Fellini wird er im Stück auch eine Tombola veranstalten. Das Ziel ist es, die Sommerterrasse der Heitere Fahne in eine «surreale, heitere Chilbi» zu verwandeln.
Draussen zu spielen, verspricht Action
«Wir benutzen nur eine Handvoll Requisiten», sagt Dramaturgin Elwert. Die Ästhetik orientiere sich an einem Filmset. «Alles muss in unseren Bus passen.» So werden etwa ruckzuck drei Wimpel aufgestellt, um einen Rummelplatz zu suggerieren. «So tun, als ob», sei im Stück sehr wichtig, ebenso die Musik. Trompete, Trommel und Geige kommen unter anderem zum Einsatz.
«La Strada» ist Teil des Formats Schauspiel-Mobil, das Theater an Orte bringen will, an denen sonst kein Schauspiel stattfindet. Das können auch mal Kindertagesstätten oder Altersheime sein. Mit dem Stück «Der Drache» von Bühnen Bern gastierte das Ensemble auf Dorf- und anderen Plätzen. Marie Omlin, die mit Rahel Bucher für die künstlerische Leitung des Heitere Theaterateliers verantwortlich ist, entwickelte während der Coronazeit mit «On the Road» ebenfalls ein solches Format. Draussen zu spielen, verspricht Action. Regisseur Max Merker will eine Art Flashmob veranstalten.
Ein andermal spricht er von einer Prozession. Katholizismus spielt bei Fellini bekanntlich eine grosse Rolle. «Bei uns nur sehr minimal», sagt Elwert. Schauspielerin Jeanne Devos von Bühnen Bern, die unter anderem in die Rolle der Gelsomina schlüpft, betont hingegen das «Prinzip Hoffnung». An ihrer Figur, die etwas Märchenhaftes habe, gefällt ihr, dass sie nicht aufgibt und immer wieder aufsteht, wenn sie hinfällt.
«Crescendo – ohne Rücksicht auf Verluste»
Nach dem Warm-up probt die Truppe trotz Regen auf der Terrasse. Lukas Schwander, ein Tänzer und Schauspieler mit Downsyndrom, den man in der Szene bereits kennt, macht einen Auftakt mit Saxofon. Die anderen stellen sich in Gruppen auf und verteilen sich auf der «Piazza», wie Regisseur Merker es nennt. Sie sollen crescendo singen. «Ohne Rücksicht auf Verluste. Wir sind im Opernhaus und hauen richtig rein.» Die Fellinis geben alles, und es entsteht ein Klangbild, wie ein Auftakt zu einem Traum – ein Eingangstor in Fellinis Welt.
La Strada
Premiere: Sa, 3.6.
Heitere Fahne Bern
Abendessen: 18.00
Vorstellung: 19.30
http://www.dieheiterefahne.ch
Tipp: Theater ausser Haus
Auch das Theater Basel führt das Publikum raus aus dem eigenen Haus, nämlich nach Birsfelden. Der Schweizer Regisseur und Musiker Christoph Marthaler und sein Ensemble inszenieren im Stück «Abteilung Leben» Szenen auf einem Amt, das verspricht, das menschliche Dasein in sinnvolle Bahnen zu lenken. Marthaler machte sich bereits in den 1980er-Jahren einen Namen mit unkonventionellen Spielstätten. So inszenierte er schon in Apotheken, Bahnhöfen oder Garagen.
Abteilung Leben
Premiere: Fr, 2.6., 19.00, Treffpunkt: Roxy Birsfelden BL
www.theater-basel.ch