Noch will die Figur nicht so recht klappen. Mit dem linken Fuss sollte ich auf den zweiten Schlag vom Ballen auf den Fersen rutschen und gleichzeitig rechts das Bein vorne hochziehen. Der fertige Tanzschritt sieht aus wie ein Rückwärtshüpfer an Ort. Wenn man ihn denn kann. Bei mir ruckelt es noch etwas. Und weil ich mich auf den «Skip» links konzentriere, kommt mein «Scoop» rechts viel zu spät.
Die Kunden per Video bei der Stange halten
Ein Mittwochabend im April, Lindy-Hop-Kurs Intermediate 2. Vor zwei Wochen hatten wir zum letzten Mal Unterricht an der Tanzschule. Seit dem Lockdown erhalten wir einmal pro Woche ein Video. Diesmal: «Half Break und Full Break». Dauer: acht Minuten. Meine Freundin und ich haben den Laptop auf den Esstisch gestellt. Von hier bis zur Sofaecke ist ein wenig Platz. Auch unser Tanzlehrer hat sich zu Hause gefilmt – er steht zwischen einem Kleiderschrank und einem Sessel.
Die Figur, die wir üben, stammt aus dem Shim Sham. Die Linedance-Choreografie gehört zum festen Repertoire jedes Lindy Hoppers. «Repetieren wir das doch noch ein paar Mal», tönt es aus den Lautsprechern des Computers. «Five, six, seven», zählt der Tanzlehrer ein, schnippt dazwischen mit den Fingern. «Step, tap, step, scoop, back, back, front, front.» Den Hüpfer krieg ich jetzt hin. Aber auf das zweite «back» werfe ich fast die Vase auf dem Beistelltisch hinter mir um.
Seit Mitte März findet auch die Tanzkultur hauptsächlich online statt. Ein Blick ins Internet zeigt: Viele Tanzschulen versuchen, ihre Kunden mit Video-Lektionen bei der Stange zu halten. Kein einfaches Unterfangen, wie Stefan Deuber von Downtownswing in Zürich sagt. Er hat sich auf Swing-Tänze wie Lindy Hop, Balboa oder Solo Charleston spezialisiert. Und blickt auf einige anstrengende Wochen zurück. «Was mein Team leistet, ist enorm», sagt er. «Anstatt zu zweit, bestreiten die Lehrerinnen und Lehrer die Kurse alleine. Und sie müssen versuchen, in den Videos dennoch eine Energie rüberzubringen.» Deuber selber musste sich um das passende Equipment und die Video-Qualität kümmern: «Die Menschen sind sich längst an qualitativ hochstehendes Material gewohnt – mit einem verwackelten Video hat man da gleich verloren.»
Abstandsregeln garantiert umgesetzt
Seit Anfang Mai setzt man bei Downtownswing nun auch auf Live-Klassen aus dem Tanzstudio. Wer eine solche bucht, klinkt sich jeweils an fixen Abenden in eine Video-Konferenz ein. Vermutlich werde das noch bis zur Sommerpause so weitergehen, sagt Stefan Deuber. Abstandsregeln liessen sich beim Paartanz kaum umsetzen. Und für ein paar Kleingruppen ein Schutzkonzept auszuarbeiten, rentiere sich nicht.
«El Boge Swing»-Party und «Zürich tanzt»
Deuber sieht im Online-Unterricht aber auch Vorteile: Die Schüler könnten zu Hause im eigenen Tempo lernen. Und von den Live-Klassen zu fixen Zeiten erhofft er sich mehr Motivation. «Der soziale Aspekt des Tanzens kommt stärker zum Tragen. Vielleicht trifft man in der Video-Konferenz jemanden, den man aus einem Kurs kennt. Am Schluss der Klasse gibt es zudem noch einen Plauderteil.»
Vermutlich ist es gerade der soziale Aspekt, der die Szene zu kreativen Lösungen antrieb. Das Tanzfest, das Mitte Mai jeweils in über 30 Schweizer Städten das Tanzschaffen zelebriert, fand dieses Jahr unter dem Motto «DisDance» statt. Ein Online-Happening mit Video-Kursen und Flash-Mob auf der Konferenz-Plattform. In Zürich verlegten die DJs der Party «El Boge Swing» ihre Sets ebenfalls ins Netz. Wer Swing-Klänge mag, kann sich jeweils dienstags ab 21 Uhr via Facebook einklinken. Das partizipative Projekt «You never dance alone» schliesslich bietet einen alternativen Ort der Tanz-Begegnung. Wer mitmacht, kann seine Interpretation einer vorgegebenen Choreografie als Video hochladen.
Umdenken mussten auch die Macherinnen von «Zürich tanzt», dem Zürcher Ableger des Tanzfestes. Für die Festspiele Zürich hatten sie auf dem Münsterhof eigentlich einen 24-Stunden-Pop-up-Ball geplant – ein grosses Happening mit Darbietungen und Schnupperkursen aus verschiedenen Tanz-Communities. Stattdessen gibt es nun online sechs Lern-Videos aus Swing, Urban, Vogue und weiteren Genres. Die Videos sind als Anleitung für eine Tanz-Party im kleinen Kreis gedacht, sagt Daniela Lehmann von «Zürich tanzt». «Die Idee ist aber, dass die Menschen vom Bildschirm weggehen: Sie lernen ein paar Tanzschritte, bekommen eine Playliste und eine Anleitung für etwas Party-Stimmung, und basteln dann ihr eigenes Tanzerlebnis.» Für Lehmann und ihre Kolleginnen war klar, dass ein Online-Projekt ein gangbarer Weg ist in dieser Situation: «Uns war wichtig, dass die Szene mit dem Publikum in Kontakt bleibt und dass wir zumindest einem Teil der Tanzschaffenden eine Plattform geben können.»
Suzy Q aus dem Hüftgelenk
Den Beistelltisch haben wir weggeschoben, den Teppich zusammengerollt. Platz genug, um den Suzy Q zu üben. Kick mit rechts, vorne überkreuzen, Schritte seitwärts mit Twist-Bewegung. Wir haben bei unserer Tanzschule den Kurs «Solo Jazz Steps» gekauft: 13 kurze Erklärvideos. Den Suzy Q kennen wir zwar, aber zum ersten Mal konzentrieren wir uns auf die Feinheiten der Figur. «Wichtig: Der Twist kommt aus dem Hüftgelenk, nicht aus dem Knie», sagt die Tanzlehrerin. Im Video steht sie im Studio unserer Schule, der grosse Spiegel hinter ihr ist abgedeckt, die Lichterkette an der Wand leuchtet. Unser Wohnzimmer ist kein Tanzstudio. Aber besser so, als gar nicht zu tanzen.
Online aufs Tanzparkett
Festspiele Zürich
Video-Tutorials ab Sa, 6.6.
www.festspielex.ch
Videos von «Zürich tanzt»
www.yourstage.live
! Zürich tanzt 2020
El Boge Swing
Tanzparty jeweils Di, ab 21.00
www.facebook.com
! Gruppen ! El Boge Swing
You never dance alone
Tanz-Partizipations-Projekt
www.you-never-dance-alone.ch