Olivia Röllin hat in Wien gerade ihre Masterarbeit in Philosophie abgeschlossen. Sie werde Wien aber noch eine Weile treu bleiben. Nach fast vier Jahren bleibt die Kulturstadt nicht nur wegen ihres Lebensgefährten ein Zuhause. Ihre Liebe für das Theater war mit ein Grund für den Umzug und ist nun auch einer, zu bleiben. «Drei Opernhäuser, unzählige kleine Bühnen und Museen zu bezahlbaren Preisen bilden hier ein Kulturangebot, das man in der Schweiz vergebens sucht», schwärmt die gebürtige Zugerin. Eine ideelle und pragmatische Entscheidung war es deshalb, zu bleiben und für die SRF-Arbeitstage eine Wohnung in Luzern zu suchen. Hier sitzt sie nun in einem kleinen, vollen Teehaus und spricht nicht über Gott, aber über die Welt.
Grosse Passion für Shakespeare
Im Gymnasium Menzingen, in der Musicalschule in Zug, am Jungen Schauspielhaus Zürich, in verschiedenen Chören und im Gesangsunterricht wuchs Röllins ungebrochene Leidenschaft für die Bühne. Sie liebe Shakespeare, habe sich gar alle BBC-Verfilmungen – 37 Stücke oder 5940 Minuten – angesehen. Die Zeit, selbst zu spielen, fehle im Moment. Wenigstens singe sie bald wieder im Chor, freut sich die 29-Jährige. «In unserem oft kopflastigen Alltag ist es wichtig, den Leib nicht zu vergessen», sagt sie, ballt ihre Hände zu Fäusten und lacht.
Dass sie ihr Leben verteilt in verschiedenen Städten führt, sei ein Privileg, aber auch anstrengend – verbringt sie doch viel Zeit im Zug. Obwohl sie sich diese Zeit mit Recherche und Podcasts vertreibt, hat Zugfahren auch eine irritierende Wirkung auf Röllin. «Man kann am Handy viele produktive Dinge tun, doch meist wird sinnlos gescrollt. Eine Verschwendung von Lebenszeit.» Ein Thema, bei dem sich Röllin mit formschönen Formulierungen echauffiert: «Sind wir uns bewusst, dass wir nur das eine Leben haben, und handeln wir danach?» Anstatt sich damit auseinanderzusetzen und herauszufinden, was wir mit dem Leben anstellen wollen, verdrängten wir diese Fragen gern.
Sie scrollt also nicht sinnlos? «Doch, natürlich. Aber ich habe eine starke innere Zensur, eine gute Konsumhygiene», nennt sie es. Sie brauche bei Recherchen im Netz viel Disziplin, doch was ihr helfe, sei die Frustration nach dem sinnlosen Konsum. Ein Frust über die Selbst- und Weltvergessenheit, die so tut, als wären unsere gesellschaftlichen Strukturen einfach gegeben. «Damit vergisst man, dass wir in einem ersten Schritt einfach mal in die Welt geworfen sind und alles, was wir hier auf und mit ihr tun, ein maximaler Freestyle ins Ungewisse ist.» Der Tee ist mittlerweile kalt, das Lokal beinahe leer, und dabei hätte die Diskussion doch gerade erst richtig angefangen.
Fernsehen
«Sternstunde Religion» mit Olivia Röllin
So, 15.12., 10.00 SRF 1
Olivia Röllins Kulturtipps
Literatur
Knut Hamsun: Hunger
(Econ-Ullstein-List 2017)
«Ich habe fast noch nie ein Buch gelesen, das mich nachhaltig derart verstört hat. Manchmal hat sich meine Realität mit derjenigen des Protagonisten vermischt, und als ich es fertig gelesen hatte, war ich noch Tage später neben der Spur. Eine intensive Erfahrung.»
Musik
Zbigniew Preisner: Lacrimosa, Requiem for my Friend (Sony BMG 2011)
«Der polnische Filmmusikkomponist Preisner hat damit eine äusserst berührende Vertonung des Weltschmerzes geschaffen. Das würde ich am liebsten selber singen.»
Poesie
Rabindranath Tagore: Gitanjali
(Hyperion Verlag 2008)
«Das Werk des bengalischen Dichters und Philosophen Tagore ist schön, sanft und tiefgründig treffend.»