Es sei eine spontane Idee ihres Vaters Omri gewesen, erzählt Olga Lakritz. Kurz vor einem Konzert mit Drummer Marco Käppeli hat der Jazzsaxofonist seine Tochter gefragt, ob sie einen ihrer Texte vortragen will – begleitet von den beiden Musikern. Wenig später steht sie auf der Bühne, und die Improvisationsformation Lackritzer ist geboren. Das war 2018.
Das Repertoire des Trios reicht von groovig, träumerisch bis hin zu lethargisch, zuweilen auch nachdenklich. Abstrakte Texte treffen auf abstrakte Musik. Sie folgen keinem Muster, sondern der Intuition. Es ist ein Suchen und Finden von Stimme, Ton, Rhythmus und Emotionen. Mal gerät die Musik in den Hintergrund, mal der Text. Olgas Worte verlieren so an Wichtigkeit. Das mag sie. Eingebettet in die Geräuschkulisse würden so andere Bedeutungen entstehen. Das sei künstlerische Freiheit, erklärt sie. Man müsse sich als Zuhörerin, aber auch als Künstlerin einlassen auf die Improvisation, die Spontanität.
Es ist ein warmer frühsommerlicher Nachmittag im Mai. Die Antworten der 27-Jährigen sind überlegt, ihr Blick schweift beim Nachdenken manchmal aus dem Café über die befahrene Bieler Bahnhofstrasse. Sie zieht an der selbst gedrehten Zigarette oder nippt am Milchkaffee, bevor sie zum Gespräch zurückkehrt.
Improvisation bestimmt ihr Leben
Lakritz’ Texte entstehen meist aus einer vagen Idee, inspiriert durch Alltagsbeobachtungen und dem, was sie unbewusst oder bewusst beschäftigt. Dann setzt sie sich hin, schreibt, probiert aus, bis sie die Stimme, das Vokabular und das Denken der Protagonisten gefunden hat. Ihre Figuren entwickeln sich anhand eines realen Vorbilds, entfalten sich während des Schreibprozesses zu eigenständigen Personen.
Olga Lakritz ist das zweitälteste von vier Kindern. Alle gehen einem künstlerischen Beruf nach, bis auf ihre zweitjüngste Schwester, die Nahostwissenschaften studiert. Das Schreiben begleitet die Zürcherin seit klein auf. In der Primarschule schrieb sie Kurzgeschichten, später Tagebücher. Mit 16 entdeckte sie Poetry Slam auf Youtube. Es folgten fünf intensive Jahre mit Schreiben, Auftreten und Wettbewerben auf fast allen Poetry-Slam-Bühnen der Schweiz.
Doch Themen, die ihr wichtig waren, liess sie vermehrt aus. «Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass nicht die Themen schlecht waren, sondern das Format falsch», sagt sie. Deshalb erweiterte sie ihr Handwerk am Literaturinstitut in Biel und wird diesen Herbst den Master an der Berner Hochschule für Künste beginnen. Mit ihren Lyriktexten hat sie sich in den letzten vier Jahren von der Slampoetin zur Autorin gewandelt. Zwei fertige Romanmanuskripte liegen bereit. Worüber, bleibt ihr Geheimnis. Sie verrät aber, dass sie der Zukunft mit Improvisation begegnen will.
Lackritzer – Worte und Jazz mit Olga Lakritz, Omri Ziegele und Marco Käppeli
Mo, 13.6., 19.00 Sogar Theater Zürich
Fr, 17.6., 20.00 Rote Fabrik Zürich
Olga Lakritz’ Kulturtipps
Buch
Senthuran Varatharajah: Rot (Hunger) (S. Fischer 2022)
«Das zweite Buch des Sri Lankers ist unfassbar in seiner Sprachlichkeit, seiner Dichte und seiner Erkenntnis.»
Lied
Big Zis: H.O.N.I.G. (2021)
«Der Song läuft bei mir seiteiner Weile ständig. Die Rapperin Big Zis bricht mit den Erwartungen, die man an Rap stellt: lyrisch und ‹id Frässi› zugleich.»
Podcast
Sarah Marshall: You’re Wrong About (2018)
«Die Journalistin bespricht Ereignisse, die in unserer Kollektiverinnerung falsch abgespeichert wurden. Sie lässt Raum für Komplexität und das, was wir nicht wissen können.»