Im Januar bin ich immer froh, dass die Feiertage hinter uns liegen. Dabei feiert meine Familie noch nicht einmal Weihnachten und hat es noch nie getan. Ich bin jüdisch aufgewachsen, mein Mann ist muslimisch geprägt. Auch nach Jahrzehnten in Deutschland und jetzt in Österreich verstehe ich sehr viele weihnachtliche Eigenheiten nicht, etwa: Was ist der Unterschied zwischen dem Weihnachtsmann und dem Christkind? Wer von diesen bringt nun die Geschenke?
Und wie verhält es sich dann mit den anderen Geschenken, von denen irgendwie alle wissen, von wem sie stammen? Und was oder wer sind bitte Wichtel? Was tun sie? Und der Nikolaus, der verdächtig dem Weihnachtsmann gleicht, es aber wohl nicht ist, wie passt er in die Figurenkonstellation?
Nun ist es so, dass man sich als eine Minderheit den Feiertagen der Mehrheitsgesellschaft, zumindest im deutschsprachigen Raum, nicht entziehen kann. In den USA, wo wir die Vorweihnachtszeit vor ein paar Jahren verbrachten, ging es prima. Man wünschte sich nicht «frohe Weihnachten», sondern «happy holidays», und in den Warenhäusern fanden wir egalitär alles für die Feiertage aller drei monotheistischen Religionen.
Im deutschsprachigen Raum gibt es jedoch kein Entkommen – selbst an Orten, die offen sein sollten, wie etwa Schulen oder Kindergärten, wird Weihnachten gefühlt einen Monat lang zelebriert. Natürlich wird Weihnachten auch für meine Kinder zu einer – unerfüllten – Sehnsucht. Sie machen alle Nikolausfeiern und Weihnachtsauftritte mit, singen die Lieder, bringen Plätzchen mit, um dann beim Finale doch nicht dabei zu sein.
Denn Channuka, das dieses Jahr immerhin am ersten Weihnachtstag anfing, fühlt sich nicht ganz so pompös an, obwohl wir uns alle erdenkliche Mühe geben. Allerdings ist Channuka im Judentum ein eher unbedeutender Feiertag und bekam solch eine grosse Bedeutung nur, weil es im Kalender ein günstig gelegener Gegenentwurf zum Christfest ist.
Natürlich würde es helfen, wenn die anderen Feiertage – Diwali, Eid oder eben Channuka – auch in der Schule und im öffentlichen Leben vorkämen, so wie es in den USA und Grossbritannien die Regel ist. Doch davon sind wir weit entfernt. Denn bei allem Verständnis für die Sehnsucht meiner Kinder möchte ich Weihnachten dennoch nicht feiern.
Das ist wahrscheinlich das Dilemma jeder Minderheit. Wie weit sollte man sich anpassen, was wäre schon Assimilation und was Verrat an eigenen Werten? Natürlich verwischen diese Linien von Generation zu Generation und manchmal sogar von Jahr zu Jahr, vielleicht ist das Beharren auf der Differenz gerade deswegen so wichtig.
Einen guten Ausweg haben wir aber mit dem russischen Neujahr (also Silvester) gefunden. Dieser Feiertag wurde in der Sowjetunion nach 1917 quasi umgedeutet: Da Religion, Weihnachten und Ostern nach der Revolution unerwünscht geworden sind, die Menschen aber dennoch wenigstens den Tannenbaum erhalten wollten, durfte dieser mit Stalins ausdrücklicher Erlaubnis 1935 zurückkehren und wurde zu jedem Silvester hingebungsvoll geschmückt – so wie heute auch in Ländern ohne die weihnachtliche Tradition, wie etwa der Türkei, Japan, oder den Arabischen Emiraten.
In meiner Kindheit stellten wir einen Tannenbaum auf, als Erwachsene habe ich es nie getan, bis ich eben Mutter wurde. Dabei liebe ich Weihnachtsschmuck und habe viel davon. Ich mag es auch, den Baum zu schmücken – nur nicht unbedingt seinen Abbau, der schon in diesen Tagen ansteht.
Zusammen mit der Erschöpfung nach den Feiertagen, egal welcher: Die Menge an Mahlzeiten, die zubereitet werden mussten, die Geschenke, alle einzeln besorgt, verpackt und verteilt, manche sofort wieder einkassiert, um sie dann umzutauschen, die Verwandten, die Karten, die Freunde, das Putzen, Wischen, Einkaufen, Schlichten und Trösten summiert sich nicht nur zur körperlich anstrengenden Arbeit.
Sondern auch zu Streitigkeiten, wenn man sich zwischen den Jahren ausgeliefert ist, zu Enttäuschungen und blankem Horror. Nicht umsonst sind die besinnlichen Tage die Tage, in denen häusliche Gewalt exorbitant steigt. So gern ich die Feiertage mag, aus diesen Gründen bin ich froh, wenn sie vorbei sind.
Dabei sind die Erwartungen an diese Tage riesig, alle sollten glücklich und vorzeigbar sein, die Arbeit unsichtbar bleiben und sich am besten auch noch von selber erledigen. Hinter allen Weihnachtsmännern, Nikoläusen, Geschenken und Festtafeln – egal welcher Religionszugehörigkeit – stecken meistens Frauen, deren Leistung auch noch Fabelwesen zugeschrieben wird. Nüchtern betrachtet, ist es etwas beleidigend. Ich bin zumindest nach acht Tagen Channuka mehr als erschöpft. Es ist einfach zu viel Arbeit, selbst wenn man sie sich teilt, was wir zu Hause tun.
Die Feiertage verlieren deutlich an Glanz, sobald man für deren Ausrichtung verantwortlich ist – und man richtet sie ja vor allem aus, weil man von den Erinnerungen an die Feste der eigenen Kindheit noch zehrt. Als Erwachsene sind wir plötzlich für das perfekte Fest verantwortlich, mit dem Wissen, dass es kein perfektes Fest geben kann, und der Erwartung, dennoch eines auszurichten. Die gute Nachricht: Man kann an dieser Aufgabe nur scheitern. Die noch bessere: Glücklicherweise ist bis zur nächsten Festsaison noch ein Jahr Zeit.
Zur Person
Olga Grjasnowa wurde 1984 in Baku, Aserbaidschan, geboren. Mit elf Jahren ist sie mit ihrer Familie nach Deutschland migriert. Sie hat literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert. Kürzlich ist ihr fünfter Roman «Juli, August, September» erschienen. Ihre Werke wurden in 18 Sprachen übersetzt, fürs Radio und für die Bühne adaptiert und verfilmt. Olga Grjasnowa lebt mit ihrer Familie in Wien, wo sie als Professorin an der Universität für angewandte Kunst unterrichtet.