kulturtipp: Herr Vogt, am 7. Dezember singen Sie die Saisoneröffnung der Mailänder Scala. Angst?
Klaus Florian Vogt: Nö. Wovor denn?
Die Welt hört zu, und oben in der Galerie stehen die «bösen» Loggionisti, die 1992 Luciano Pavarotti und letztes Jahr den Tenor Piotr Beczala ausgebuht haben?
Ich habe meinen eigenen Anspruch, dem ich gerecht zu werden versuche, egal, wo das ist. Wie mein Gesang aufgenommen wird, kann ich nicht beeinflussen. Ich kann meine Leistung bringen, den Leuten das geben, was ich habe, und hoffen, dass sie es geniessen.
Alexander Pereira richtete in Mailand einen Appell an die Stehplatzbesucher: «Bitte, buht nicht mehr, es gibt so viele grosse Künstler, die deswegen nicht mehr nach Mailand kommen!» Stimmt das?
Ich kann mir vorstellen, dass man sich das nicht zumuten will. Es gibt ja auch solche Vorkommnisse, die mit der Leistung überhaupt nichts zu tun haben. Mir wäre es völlig fern, eine Befriedigung darin zu finden, jemanden kleinzumachen. Buhrufe schmerzen echt.
Wurden Sie schon ausgebuht?
Ausgebuht nicht, aber ich habe einen speziellen «Freund», der immer wieder mal irgendwo auftaucht, und der jedes Mal, egal, wie oder was es war, buht. Da ist man machtlos und überlegt sich, ob man sich das antun muss.
Und wenn ein Sänger wirklich schlecht war?
Dann ist es etwas anderes: Wenn ich selber denke, dass ich meine Aufgabe nicht erfüllt habe, dann buhe ich mich eigentlich selber aus. Dann nützt es auch nichts, wenn das Publikum «Bravo» ruft. Das tröstet zwar sehr, rettet mich aber nicht vor meiner Frustration.
Scheiden sich aber bei einem Regisseur die Geister, wirds ungemütlich. So etwa bei Andreas Homokis «Lohengrin»-Inszenierung in Zürich. Leser des kulturtipp haben heftig über das Regietheater am Opernhaus diskutiert.
Ich finde, der Begriff Regietheater ist zu negativ behaftet: Regietheater wird gleichgesetzt mit Trash, Verdrehung, Publikum ärgern, Verrücktheiten…
Offenbar ist klar, wovon wir sprechen.
Ja, aber wir brauchen Regietheater, wir brauchen Regie: Sonst stehen alle vorne an der Rampe und singen in den Zuschauerraum. Das will auch keiner.
Da gebe ich Ihnen recht. Aber …
… alles, was da auf der Bühne organisiert ist, ist Regie: Und dagegen habe ich überhaupt nichts – im Gegenteil. Aber wir brauchen nun mal gutes Regietheater: Theater, das fürs Publikum gemacht ist, und zwar so, dass die Zuschauer eine Geschichte nachvollziehen können. Ich will wissen: Worum geht es hier?
Einverstanden, aber gute Regie lenkt nicht von der Musik ab.
Gutes Regietheater wird den Fokus immer auf das lenken, was in dem Augenblick gerade wichtig ist. Das unterscheidet gutes von schlechtem Regietheater. Schlechtes Regietheater ist für mich, wenn man von unzusammenhängenden Geschichten überhäuft wird, die man nicht mehr ordnen kann, Dazu gehören bisweilen auch Videos, die heutzutage sehr modern sind. Man weiss aber, dass das Visuelle das Gehör überlagert, kaputt macht – da leidet der musikalische Eindruck. Ein guter Regisseur wird darauf Rücksicht nehmen. Ich habe nichts gegen Regietheater, es muss aber anständig gemacht sein.
Musste sich das Publikum zuletzt zu oft über schlechte Regien ärgern?
Das ging mir doch genauso! Wenn mir keine Geschichte erzählt wird, ärgere ich mich. Dafür gehe ich nicht ins Theater. Solches wird immer damit gerechtfertigt, dass das Publikum aufgerüttelt werden soll, eventuell sogar umerzogen: Man solle die Vorstellung nachdenklich verlassen. Das will ich auch, aber ich will im Theater nicht geärgert oder vergewaltigt werden.
Schreibe ich, dass die Regisseure im Theater das Sagen haben, höre ich von Sängern: «Endlich sagt jemand mal etwas!» Haben Sie den Eindruck, dass die Sänger oft hintenanstehen?
Ja, das ist so, aber das liegt auch am Feuilleton. Regisseure stehen unter Druck, dauernd Neues bringen zu müssen. Tun sie es nicht, werden sie geschlachtet – nicht vom Publikum, sondern von den Kritikern. Daher sahen wir eine Zeit lang Regiearbeiten fürs Feuilleton. Ich hoffe, man kommt davon weg. Regisseure haben eine grosse Macht. Man muss sich nur eine Kritik ansehen: 80 Prozent handeln von der Regie. Ein Sänger, der vier Stunden auf der Bühne steht, kriegt ein Adjektiv. Oder hat bisweilen gar nicht mitgemacht.
Ist die Schere zwischen Publikum und Feuilleton zu gross?
Eindeutig! Ein Abend wird vom Publikum goutiert – und fällt im Feuilleton durch. Machen wir nicht Theater fürs Publikum?
Klaus Florian Vogt
Vogt wurde 1970 in Deutschland geboren. Während er als Hornist im Staatsorchester Hamburg spielte, studierte er Gesang. 1997 kam er ans Landestheater Flensburg, schon 1998 an die Dresdner Semperoper. Mit Lohengrin in Erfurt feierte er 2002 seinen Durchbruch. Seit 2003 ist Vogt als freischaffender Künstler tätig. 2007 gab er sein Debüt als Stolzing bei den Bayreuther Festspielen. Seit 2011 ist er Exklusivkünstler bei Sony. Vogt ist verheiratet und hat vier Söhne.
CDs
Favorites
(Sony 2013).
Richard Wagner
(Sony 2013).
Helden: Weber, Mozart, Wagner u.a. (Sony 2012).
Fidelio
So, 7.12., 20.15 Arte
live aus Mailand
Opernkarten für «Fidelio» in Mailand
www.teatroallascala.org