Ein Orchester aus der russischen Teilrepublik Tatarstan zu Gast in der Reihe «World Orchestras» bei der Allgemeinen Musikgesellschaft Basel? Hier, wo sonst Klangkörper aus London oder Berlin miteinander um die Wette spielen? Aus einem Land, das kaum ein Mensch in der Schweiz kennt? Dahinter steckt harte Arbeit – in vielerlei Hinsicht.
Kasan, die Hauptstadt Tatarstans, ist dank Öl und Gas wirtschaftlich im Aufwind, konkurriert in Sport und Kultur mittlerweile mit der Hauptstadt Moskau. Das Nationale Sinfonieorchester ist Sinnbild für den neuen Glanz der Wolgametropole Kasan mit ihren 1,16 Millionen Einwohnern. Die autonome russische Republik liegt eineinhalb Flugstunden östlich der russischen Hauptstadt, das Land ist muslimisch, Amtssprache ist russisch und tatarisch, eine Turksprache. Von den 3,8 Millionen Einwohnern sind 53,2 Prozent Tataren, 39,7 Prozent Russen.
Das Orchestermärchen begann 2010. Damals gab der Staatspräsident dem Dirigenten Alexander Sladkowsky alle Freiheiten – vor allem Geld –, um das bislang wackere Orchester voranzubringen.
Die Umstrukturierung trägt Früchte
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit zitierte der 51-jährige Moskauer Dirigent sämtliche Musiker einzeln zu sich ins Büro. Dort musste jeder aus der 5. Sinfonie Tschaikowskys vorspielen – ein Werk, das russische Musiker auswendig kennen. Danach begann die Umstrukturierung. Heute sitzt ein sehr junges Orchester auf dem Podium, darunter viele Frauen. Die Musiker erhalten drei Mal mehr Lohn als früher, stehen aber unter Druck: Ausgestellt werden nur Verträge für
ein Jahr.
Die Aufbauarbeit trug schnell Früchte. Es folgten Projekte, von denen jedes Orchester träumt, sie aber nur ausführen kann, wenn es in den Top Ten der Welt ist oder sehr viel Subventionen erhält: Man produziert CDs, glänzt mit Jugend- und Kinderprojekten, gibt Wohltätigkeitskonzerte, lädt berühmte Solisten ein und geht auf Welttournee. In wenigen Tagen wird Sladkowsky in Wien im Goldenen Saal des Musikvereins auftreten: ein Höhepunkt für jedes Orchester. Danach folgt der Auftritt in Basel.
Der Konzertsaal wird zum Studio
Die Aufnahmen des tatarischen Orchesters sind gewichtige Projekte. Bei Sony spielte man CDs sowohl mit tatarischer als auch mit russischer Musik ein, bald folgen bei Melodiya sämtliche 15 Sinfonien von Dmitri Schostakowitsch: ein Mammutprojekt, im Westen fast nur noch in Live-Mitschnitten mach-, beziehungsweise bezahlbar. In Kasan hingegen wurden die Sinfonien im Konzertsaal eingespielt. Dieser war eigens dafür zum Studio umgewandelt worden.
Das Orchester als überzeugende Einheit
Das durch viel Geld und den Enthusiasmus geförderte Orchesterwunder ist kein Einzelfall. Auch wenn die Bestenliste der Orchesterwelt seit Jahrzehnten praktisch unangefochten ist, gab es immer wieder überraschende Überflieger aus der «Provinz»: In den 1980ern erlebte Oslo dank Dirigent Mariss Jansons und Birmingham dank Simon Rattle einen ungeheuren Aufschwung. Zur selben Zeit brachte Iván Fischer das Festival Orchester Budapest zum Blühen, ja an die Weltspitze. Geld und neue Strukturen spielten an allen drei Orten eine wichtige Rolle.
Im Saal des Konservatoriums in Kasan denkt sich der Gast: Wie prächtig ist hier doch alles restauriert. Der Eindruck täuscht: Das klassizistische Konzerthaus ist nicht 150, sondern bloss zehn Jahre alt. Die Akustik hat ihre Tücken, kommt hinzu, dass der Saal nur 700 Plätze umfasst.
Kein Wunder, träumt Dirigent Sladkowsky von einem neuen Saal. Sollte sich auch der Präsident der Republik in diesem Gedanken gefallen, wird es nicht mehr lange dauern, bis ein berühmter Architekt Pläne schmieden kann. Dannzumal wird neben dem einer Seerose nachempfundenen topmodernen, 465 Millionen Euro teuren Fussballstadion ein neuer Konzertsaal zum architektonischen Stolz der Stadt gehören. Das neue Stadion steht bereit für die Fussballweltmeisterschaften 2018 – Rubin Kasan, zweimal russischer Meister geworden, trägt dort seine Champions-League-Spiele aus.
Ganz so weit ist das Orchester noch nicht. Doch erstaunlich bleibt, welche Einheit Sladkowsky geformt hat. Zum Saisoneröffnungskonzert im Oktober erhalten er und das Orchester zu Recht stehende Ovationen: Der Klang ist kompakt, die 11. Sinfonie Schostakowitschs bis ins Detail ausgedeutet. Sie wird so zur klingenden Erzählung über die Revolution von 1905.
Putin-Freund Denis Matsuev als Solist
Solist in Basel ist Denis Matsuev, der überragende russische Virtuose und Rachmaninow-Freund. In der Schweiz wurde sein Name genannt, als es 2013 hiess, Vladimir Putin kaufe für 18,5 Millionen Franken die Rachmaninow-Villa in Hertenstein bei Weggis. Matsuev sollte eine Art Verwalter werden. Musik und Politik sind eng verstrickt, auch Sladkowsky unterstützt Putin.
Konzert
Do, 8.12., 19.30 Musical Theater Basel
Das Nationale Sinfonieorchester Tatarstan spielt Werke von Mussorgsky und Rachmaninow
Klavier: Denis Matsuev
Leitung: Alexander Sladkowsky
www.musical.ch