Odyssee durch die Alpen
Franz Hohler, Noëlle Revaz und Giovanni Orelli erzählen im dreisprachigen Band «Gipfel – Col – Valle» Geschichten aus den Bergen.
Inhalt
Kulturtipp 15/2014
Babina Cathomen
Die Berge haben in der Schweizer Literatur schon immer für Schreibstoff gesorgt: Vom grossen Grauen bei Charles Ferdinand Ramuz bis zur harten Älplerwelt bei Arno Camenisch und Leo Tuor oder Tim Krohns mystischer Bergwelt. Im Gegensatz dazu mutet der neue Erzählband mit je fünf Berggeschichten von Franz Hohler, der Westschweizerin Noëlle Revaz sowie dem Tessiner Giovanni Orelli etwas harmlos an. Sie sind im Auftrag des Vereins «Alpen-Initiative» entstanden...
Die Berge haben in der Schweizer Literatur schon immer für Schreibstoff gesorgt: Vom grossen Grauen bei Charles Ferdinand Ramuz bis zur harten Älplerwelt bei Arno Camenisch und Leo Tuor oder Tim Krohns mystischer Bergwelt. Im Gegensatz dazu mutet der neue Erzählband mit je fünf Berggeschichten von Franz Hohler, der Westschweizerin Noëlle Revaz sowie dem Tessiner Giovanni Orelli etwas harmlos an. Sie sind im Auftrag des Vereins «Alpen-Initiative» entstanden, der mit diesen Geschichten laut Vorwort den Blick öffnen will für die «schönsten Winkel der Welt». Darum vielleicht fallen manche Geschichten ziemlich konventionell idyllisch aus: Hohler und Revaz schwärmen von Wanderungen und schwelgen in Landschaftsbeschreibungen, während Orelli Erinnerungen aufleben lässt.
Hie und da werden aber auch kritische Untertöne laut. Hohler hinterfragt etwa den Namen des Agassizhorns im Berner Oberland, der sich auf den Schweizer Naturforscher – und Rassisten – Louis Agassiz (1807–1873) bezieht. Revaz erfindet einen Sketch zwischen zwei Berglotsen, in dem sie sich über die neutrale Namensgebung von Wildtieren, wie «Bär M13», mokiert. Und Orelli erinnert sich an das bäuerlich geprägte Tessin, als es noch kein «Festhütten-Tessin» war. Die drei Autoren wählen einen ganz unterschiedlichen Zugang zu den Bergen: Der 71-jährige Umweltschützer und Berggänger Franz Hohler äussert sich mit gesellschaftskritischem Blick. Die 46-jährige Noëlle Revaz schaut mit den schwärmerischen Augen einer Heimweh-Walliserin auf die Berge. Und der 86-jährige Orelli betont, dass er die Berge als Bauer wahrnimmt: «Was für den Bauern zählt, ist der Berg vor der Haustür, der Berg mit seiner physischen Präsenz, roh, oft verwünscht für seine Feindseligkeit.» Geschichten, die sich noch mehr mit dieser Ambivalenz zwischen Schönheit und Rohheit beschäftigen, hätten dem Erzählband den nötigen Pfiff verliehen.
Franz Hohler / Noëlle Revaz / Giovanni Orelli
«Gipfel – Col – Valle»
192 Seiten
(Limmat Verlag 2014).