kulturtipp: Giovanni Antonini, 2009 führten Sie Händels «Alcina» mit der Deutschen Anja Harteros in Mailand auf, nun mit der Italienerin Cecilia Bartoli in Zürich. Was ändert sich für Sie?
Giovanni Antonini: Eine Opernaufführung hängt immer von den Interpreten ab. Hier in Zürich sind sowohl die Regie wie auch die Sänger ganz anders. Mein Blick auf diese Musik bleibt hingegen mehr oder weniger derselbe. Zwischen Anja Harteros und Cecilia Bartoli liegen Welten. Ich habe in letzter Zeit viel mit Bartoli gearbeitet, in dieser Arbeit ist eine Entwicklung zu erkennen, der Weg hin zu einer gemeinsamen Sprache.
Beide Sängerinnen sind Diven. Ist das schwierig für den Dirigenten?
Nur Diva zu sein, reicht nicht für eine Oper von Händel. Ob einem die eine oder andere Sängerin besser gefällt, ist eine Sache. Aber Bartoli hat diese Musiksprache seit vielen Jahren studiert, hat ihre ureigene Art, diese Musik zu singen. Somit ist diese Zürcher Produktion für mich interessanter. Die Arbeit mit dem Scala-Orchester war zwar schön, aber ich traf in Zürich auf ein Orchester, das Barockopern gewohnt ist. Hier spielt das Orchester auf Darmsaiten, mit Barock-Bögen und barocken Blasinstrumenten. Wir beginnen auf einem anderen Level! Wie bei den Sängerinnen: Es geht nicht um gut oder schlecht, sondern darum, die Sprache dieser Musik zu verstehen.
Wer ist diese Sängerin, diese Diva?
Zwei Töne Bartoli und Sie wissen, wer singt. Es ist der Mix aus Technik, Originalität, der Einzigartigkeit ihrer Stimme – und sie hat einen musikalischen Instinkt: Wenn etwas nicht funktioniert, dann merkt sie es. Bartoli ist eine typische Italienerin, die Situationen förmlich riechen kann. Sie schafft es, so zu singen, dass jeder im Publikum meint, sie mache es für ihn allein. Sie hat viele Bewunderer, entfacht aber gleichzeitig Diskussionen um ihre Person. Das ist normal.
Nach einigen Abenden mit Bartoli singt Agneta Eichenholz. Ändert sich dann Ihr Dirigat?
Durchaus. Der Dirigent und sein Orchester müssen mit den Sängern atmen. Und bei einer Einspringerin oder Zweitbesetzung muss ich deren Atmen verstehen. Aber das sind nun mal Situationen, die es im Theater gibt. Man übt eine Oper über viele Wochen ein, und am Premierenabend muss man sich auf die Situation neu einstellen. Plötzlich passiert irgendetwas: ein Tempowechsel, ein vergessenes Wort, etwas fällt herunter! Da muss der Dirigent parat sein. Es gibt Sängerinnen, die sind vom Orchester völlig losgelöst: «Folgt mir, ich bin die Diva.» Die Bartoli ist das Gegenteil: Sie ist eine Diva, die übt, probiert und viel mit dem Dirigenten diskutiert.
Sie, der Mailänder, dirigierten seit 2009 keine Opern mehr in Mailand oder sonst wo im Musikland Italien. Dafür sorgten Sie in Salzburg für Schlagzeilen. Ist das nicht eigenartig?
Italien ist nun mal ein eigenartiges Land.
Es gibt so viele grossartige italienische Musiker! Kann man zusammen nichts bewegen in Italien? Warum gibt es in Florenz kein Barockfestival in den historischen Sälen – dort, wo die Oper ihren Ursprung hatte?
Die Politik hat noch nicht verstanden, dass das kulturelle Angebot einen grossen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes leisten kann. Salzburg ist zum Beispiel eine kleine Stadt, aber der internationale Erfolg der Festspiele ist ein Gewinn für ganz Österreich, kulturell und wirtschaftlich. In Italien gibt es viele talentierte, kreative Menschen mit tollen Ideen, die Festivals ins Leben rufen. Aber sie werden nicht unterstützt, was es ihnen unmöglich macht, langfristig zu planen. Zusammensitzen ist keine italienische Stärke. Den Sinn des Staates oder den Sinn der Gemeinde erkennt man trotz Einigung im 19. Jahrhundert immer weniger. Wir lassen Pompeji zerfallen, es ist uns egal. Man hat ja so viele andere Kunstwerke … Bald hat man einige weniger … Dennoch liebe ich dieses Land.
An der Mailänder Scala herrscht nun der Ex-«Zürcher», der Österreicher Alexander Pereira. Kommt das gut?
Ich glaube schon, er kennt die Italiener. Pereira wird das System verstehen. Man erwartet viel von ihm, hat aber auch viel Vertrauen in ihn.
CDs
Ludwig van Beethoven
Sinfonie 7 & 8 (Sony 2014).
Vincenzo Bellini
Norma (Decca 2013).
Georg Friedrich Händel
Concerti grossi op. 6
Nr. 1–12 (Decca 2008).
Aufführung
Alcina
Premiere: So, 26.1., 19.00 Opernhaus Zürich
Musikalische Leitung: Giovanni Antonini
Giovanni Antonini
Der 1965 in Mailand geborene Flötist und Dirigent Giovanni Antonini gründete als Student das Spezialistenensemble Il Giardino Armonico. Antonini dirigierte unter anderem die Berliner Philharmoniker, das Concertgebouw-Orchester und das Tonhalle-Orchester Zürich. Seine Gesamteinspielung der Beethoven-Sinfonien mit dem Kammerorchester Basel steht kurz vor dem Abschluss.